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Klage eines Fußballfans gegen Twitter-Nachricht der Polizei erfolgreich

Montag, 23. Oktober 2023 20:00

unser neuer Beitrag aus dem “Oscar für Gotha”, Ausgabe November 2023

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Mietrecht: Dürfen gewerbliche Mieter, die coronabedingt ihr Unternehmen schließen mußten, deshalb ihre Mieter mindern?

Sonntag, 20. Juni 2021 22:50

von Christian Sitter

Jedes sog. Dauerschuldverhältnis hat in der Pandemie so seine eigenen Probleme. Darf das Fitnessstudio die Mitgliedschaft seines Kunden um die Dauer des Lockdowns verlängern? Muss der Vereinsbeitrag bezahlt werden, obwohl die Sporthalle geschlossen ist? Oder darf zumindest der gewerbliche Mieter, der von Verordnungs wegen sein Unternehmen zu schließen hat, wenigstens seine Miete mindern?

Auf keine dieser Fragen gibt es derzeit endgültige Antworten. Vor allem die Frage nach der Mietminderung ist weiterhin hoch umstritten. Um diese soll es in diesem Beitrag gehen.

Ist die Schließungsanordnung ein Mietmangel?

Erste gerichtliche Entscheidungen deuten darauf hin, dass die beschränkte Nutzungsmöglichkeit von Gewerberäumen im Lockdown keinen zur Minderung der Miete berechtigenden Mangel der Mietsache darstellen. Die Mietsache ist ja nicht mangelhaft und trotz Pandemie nutzbar, weshalb auch kein Fall der Unmöglichkeit vorliegt. Der Vermieter erfüllte jederzeit seine Verpflichtungen aus § 535 Abs. 1 S. 2 BGB. Dies sehen alle bisher vorliegenden Entscheidungen von Obergerichten unisono so. Allerdings bejahen sie alle auch grds. die Anwendbarkeit des § 313 BGB wegen sog. Störung der Geschäftsgrundlage.

Was bedeutet „Störung der Geschäftsgrundlage“?

§ 313 (Störung der Geschäftsgrundlage) lautet folgendermaßen:

(1) Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.

Dies bedeutet, es müssen drei Voraussetzungen erfüllt sein:

(1) Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, haben sich nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert;

(2) das Festhalten an der vereinbarten Regelung führt für die betroffene Partei zu einem nicht mehr tragbaren Ergebnis;

(3) die Parteien hätten den Vertrag nicht oder nicht so geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten.

Im Ergebnis hat die betroffene Partei einen Anspruch auf Vertragsanpassung.

OLG Dresden und Kammergericht: 50%

Allerdings ließ nunmehr ein Urteil des OLG Dresden vom 24. Februar 2021 – 5 U 1782/20, aufhorchen, das dem Mieter das Recht zur 50%igen Absenkung der Kaltmiete gab. Keine der Vertragsparteien könne für den Lockdown etwas, weshalb die damit verbundene Belastung gem. § 313 BGB gleichmäßig auf beide Parteien zu verteilen sei. Das Kammergericht, Urteil vom 01. April 2021 – 8 U 1099/20, hat sich dieser Auffassung nunmehr angeschlossen.

OLG München und OLG Karlsruhe: eher skeptisch

Andere Gerichte urteilen allerdings differenzierter und argumentieren v.a. mit dem Gesetzeszweck: Bei der Prüfung der Zumutbarkeit ist sowohl die Situation des Mieters als auch die des Vermieters zu berücksichtigen. So meint das OLG München, (Hinweisbeschluss vom 17.02.2021 – 32 U 6358/20) und das OLG Karlsruhe (Urteil vom 24.02.2021, 7 U 109/20), eine pauschale Herabsetzung komme nicht in Betracht. Die Anpassung sei nur ausnahmsweise gerechtfertigt. Der Mieter müsse konkret zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen vortragen und habe zur Begründung seines Anpassungsverlangens jedenfalls eine schwere Beeinträchtigung seiner wirtschaftlichen Lage durch die Offenlegung seiner Umsatzzahlen nachzuweisen. Zu berücksichtigen seien zudem erhaltene staatliche Hilfen, ersparte Aufwendungen in der Schließungszeit sowie Warenvorräte des Mieters. Auch der „Nachholeffekt“ durch erhöhte Umsatzzahlen nach der Wiedereröffnung des Betriebs sei zu berücksichtigen.

Und nun?

Es ist natürlich unsicher, ob sich die Meinung des OLG Dresden am Ende durchsetzen wird. Alle Gerichte gehen aber davon aus, dass eine Anpassung über § 313 Abs. 1 BGB möglich ist. Der Gesetzgeber hatte zum 1.1.2021 Artikel 240 § 7 EGBGB (Störung der Geschäftsgrundlage von Miet- und Pachtverträgen) geschaffen, der lautet:

(1) Sind vermietete Grundstücke oder vermietete Räume, die keine Wohnräume sind, infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar, so wird vermutet, dass sich insofern ein Umstand im Sinne des § 313 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat.

Damit steht aber lediglich fest, dass die Corona-Pandemie eine Störung der Geschäftsgrundlage darstellen kann. Die Frage, ob eine Anpassung der Miete im konkreten Fall angemessen ist, bleibt gerade offen und läßt isch nicht pauschal beantworten. Sie muss von den Gerichten in umfassender Abwägung der Umstände des Einzelfalls entschieden werden.

Sind Sie unsicher, ob dies auf Sie zutrifft? Lassen Sie sich beraten!

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Beamtenrecht: höhere Besoldung für alle Thüringer Beamten?

Montag, 30. November 2020 19:19

Mit einem Paukenschlag endet das Jahr für die Thüringer Beamten: wie der Thüringer Beamtenbund auf seiner Webseite berichtet, bestätigte das Thüringer Finanzministerium in der öffentlichen Anhörung des Petitionsausschusses des Thüringer Landtags vom 26.11.2020 im Petitionsverfahren Nr. E-129/19, dass die Besoldung im Freistaat Thüringen derzeit verfassungswidrig ist.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss die Besoldung der Beamten der untersten Besoldungsgruppe jedenfalls 15 % höher sein als das Niveau der sozialrechtlichen Grundsicherung (BVerfG, Beschl. v. 04.05.2020 – 2 BvL 4/18). Auch die kindbezogenen Familienzuschläge müssen ihr Nettoeinkommen so erhöhen, dass ihnen für jedes dieser Kinder mindestens 115 % des grundsicherungsrechtlichen Gesamtbedarfs nach dem SGB II zur Verfügung steht (BVerfG, Beschl. v. 04.05.2020 – 2 BvL 6/17). Die Petition weist nach, dass dies in Thüringen im Jahre 2017 und wohl auch in den Folgejahren nicht der Fall war.

Dies bedeutet für die Thüringer Beamten zweierlei:

  1. Die untersten Besoldungsgruppen (A 6 – A 8) in Thüringen sind deutlich anzuheben;
  2. alle anderen Besoldungsgruppen dann aber in der Konsequenz auch.

Denn die Fehlerhaftigkeit des Besoldungsniveaus in der untersten Besoldungsgruppe führt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Beschl. v. 30.10.2018 – 2 C 32.17 u. Beschl. v. 22.09.2017, Az. 2 C 56.16) zwangsläufig zur Verfassungswidrigkeit des Besoldungsniveaus der hier in Rede stehenden höheren Besoldungsgruppen. Solange der Gesetzgeber die Abstände zwischen den Besoldungsgruppen nicht bewusst neu geordnet hat, hat die erforderliche Anpassung der untersten Besoldungsgruppe notwendigerweise eine Verschiebung des Gesamtgefüges zur Folge.

Eine weitere Überlegung stützt diese Notwendigkeit:

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (sogenannte „relative Vergleichsmethode“, u.a. BVerfG, Urt. v. 05.05.2015 – 2 BvL 17/09; Beschl. v. 17.11.2015 – 2 BvL 19/09) ist die Frage einer amtsangemessenen Besoldung anhand verschiedener Kriterien wie Verbraucherpreisentwicklung, Nominallohnentwicklung in der freien Wirtschaft, Tarifentwicklung im öffentlichen Dienst, Abstand zwischen den Besoldungsgruppen sowie Vergleich mit anderen Ländern und dem Bund zu beurteilen. Es besteht die Vermutung einer verfassungswidrigen Besoldung, wenn drei der o.g. fünf Prüfparameter verletzt sind. Das gleiche Ergebnis ergibt sich, wenn nur zwei der fünf Parameter verletzt sind, sich diese Verletzung aber als erheblich darstellt (BVerwG, Beschl. v. 30.10.2018 – 2 C 32.17 u. v. 22.09.2017 – 2 C 6/17).

Die Petition weist im Zeitraum von 2008 bis 2015 eine Verletzung von drei, seither mindestens von zwei Prüfparametern nach. So ergibt sich für die Besoldungsgruppen A 10 bis A13 im Vergleich zu den Verdiensten in der Privatwirtschaft (Nominallohn) eine Abweichung von 17,84 % und zu den Verdiensten im öffentlichen Dienst (Tarifentwicklung) eine Abweichung von 8,53 %.

Was bedeutet dies für die Thüringer Beamten?

Sie sollten bis zum 31.12.2020 ihrer Besoldung widersprechen.

Denn erweist diese sich für die Vergangenheit als verfassungswidrig, sind die Unterschiedsbeträge zur amtsangemessenen Besoldung nachzuzahlen. Da hier mit der Erhebung der Einrede der Verjährung zu rechnen ist, wären, falls noch in diesem Jahr Widerspruch erhoben wird, Beträge ab dem 01.01.2017 nachzuzahlen, sonst erst ab dem 01.01.2018. Sollte der Gesetzgeber tätig werden, sind immerhin die Ansprüche ab dem 01.01.2020 einbezogen.

Der hier herunterzuladende Musterwiderspruch darf frei verwendet und verteilt werden.

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Verwaltungsrecht: Gibt es eine Impfpflicht?

Mittwoch, 11. November 2020 15:56

von RA Christian Sitter, 11.11.2020

Kein Tag vergeht, an dem nicht wilde Spekulationen über eine “Impfpflicht” und angebliche “Zwangsimpfungen” kursieren. Erst heute wurde ich gefragt, was ich von folgendem “Meme” halte:

Impfpflicht?

Dazu gibt es folgendes zu sagen: diesen § 20 Abs. 6 IfSG gibt es tatsächlich. Seit dem 1.1.2001. An diesem Tag trat auch das komplette Gesetz in Kraft. Also besteht diese Möglichkeit nicht erst “heimlich” seit gestern, sondern ganz offen seit 20 Jahren.

Es ermächtigt den Bundesgesundheitsminister, in einem bestimmten, genau definierten Notfall eine Rechtsverordnung zu erlassen, die zu einer “Impfpflicht” führen könnte. Dieser müßte der Bundesrat zustimmen. Tut er dies nicht, sind nach § 20 Abs. 7 IfSG die Landesregierungen zum Erlass einer Rechtsverordnung nach Absatz 6 ermächtigt.

Aber: bislang gab und gibt es KEINE einzige Rechtsverordnung, die eine solche Impfpflicht für einen dort genannten Fall auf Papier gebracht hätte. Die Gesetzgeber haben noch nie von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, sieht man vom Nachweis der Masernimpfung für Kleinkinder einmal ab, wenn diese die öffentliche Kindertagesstätte oder Schule besuchen. Diese Regelung gilt seit dem März 2020 und ist keine “Impfpflicht”, denn sie führt lediglich dazu, dass ein Kind ohne Nachweis die entsprechende Einrichtung nicht besuchen darf.

Also “die Impfplicht ist da”? Fakenews!

In den Medien Lügen die Politiker…”? Dummes Zeug!

“beschließen heimlich dieses Gesetz”? Reiner Unsinn!

Impfzwang?

Und wie stehts jetzt mit dem “Impfzwang”? Könnte Herr Spahn tatsächlich in einer Rechtsverordnung für jedermann/-frau/-divers anordnen, dass er/sie/es sich zu einer Impfung einzufinden hat, sobald es einen Corona-Impfstoff gibt? Und käme dann im Falle einer Weigerung die Hundertschaft, um die Pflicht mit aller kalter staatlicher Gewalt durchzusetzen?

Auch hier: ein klares “Nein!” Eine Impfung ist ein Eingriff in das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit – das weiß der Gesetzgeber. Der Eingriff wiegt auch schwer. Allerdings sieht die Verfassung selbst vor, dass in das Grundrecht eingegriffen werden darf. Zum Beispiel durch konkurrierende Grundrechte anderer. Die Anwendung einer Impfpflicht ist keine freiwillige Aktion des Staates und liegt auch nicht allein im politischen Ermessen. Sie folgt aus der Schutzpflicht des Staates für seine Bürger, die das Bundesverfassungsgericht aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit entwickelt hat.

Es geht also in erster Linie um den Schutz anderer Menschen. Bei gefährlichen, übertragbaren Krankheiten müssen Individualfreiheiten im Zweifel, aber eben nur dann und in klar begrenzten Ausnahmefällen, zurücktreten. Viele Senioren oder Säuglinge sind nicht geschützt und damit einem sehr konkreten Infektionsrisiko ausgesetzt. Der Staat muss dann die Frage beantworten: wieso dürfen Träger eines ansteckenden Virus frei herumlaufen und andere infizieren, obwohl sie sich zumutbarer Weise impfen könnten?

Das kann in letzter Konsequenz, aber auch nur dann und als wirklich letztes Mittel, zum Impfzwang führen. Gegen eine solche Anordnung steht aber jedermann der Schutz der Gerichte zu, die zu befinden hätten, ob diese verhältnismäßig ist. Der Deutsche Ethikrat hat dies bei der Masernimpfung für Kleinkinder offen bezweifelt; er schreibt, dass es fraglich sei, “ob eine Impfpflicht verfassungsrechtlichen Bestand hätte”. Auch der wissenschaftliche Dienst des Bundestages kam 2016 zu dem Schluss, dass “eine Impfpflicht für bedrohte Teile der Bevölkerung […] einen Eingriff in das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit” darstelle, “der verfassungsrechtlich jedoch gerechtfertigt erscheinen kann”.

KANN. Wohlgemerkt.

Eine grundsätzliche, gar mit Zwangsmitteln durchsetzbare “Impfpflicht” ist damit eher unwahrscheinlich, denn Artikel 2 des Grundgesetzes gibt dem betroffenen Bürger ein starkes Grundrecht an die Hand. Nur in Ausnahmefällen wird sie zu rechtfertigen sein.

Und dies ist eine durchaus salomonische Lösung: viele EU-Länder sind da bereits weiter und statuieren sehr wohl weitgehende Impfpflichten. In Deutschland gibt es sie (noch) nicht. Und wie am Wochenende in Leipzig gesehen, erlaubt dieses böse Land seinen mitunter ätzenden Kritikern sogar weitgehend ohne Beachtung der Maskenpflicht durchgeführte Großdemonstrationen in Corona-Zeiten. Aber niemand sollte sich wundern, dass bereits Bestrebungen verlauten, den Meinungskorridor in sozialen Netzwerken weiter zu beschränken.

Deshalb gilt umso mehr:

gerade wer – wie der Autor dieser Zeilen – mitunter übermäßige staatliche Regelungen kritisiert und gerichtliche Korrektur betreibt, sollte seriös auftreten und mit Fakten argumentieren und keine unsinnige Panik schüren.

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Verwaltungsrecht: wie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof Vertrauen in den Rechtsstaat verspielt

Mittwoch, 4. November 2020 10:02

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) hat mit Beschluss vom 29. Oktober 2020, Az. 20 NE 20.2360, entschieden, dass die von mir verfassten Eilanträge gegen die Sperrstunde in der bay. Gastronomie nicht begründet seien.

Dieser Beschluss ist aus mehreren Gründen zweifelhaft.

  1. Der Fall

Wenn ein Gasthaus schon im ersten “Lockdown” fast 500.000,00 EUR Umsatz eingebüßt hat, arbeitet es fieberhaft daran, den Ausfall danach zumindest erträglich zu gestalten. Dekretiert der Freistaat Bayern dann eine Sperrstunde um 21.00 Uhr, weil eine Zahl von 100 positiv Getesteten auf 100.000 Einwohner überschritten ist, trifft ihn das hart. Er muss dann nämlich um 20.00 Uhr die Küche schließen und dem Gast um Punkt 21.00 Uhr den Teller und das Weißbierglas unter der Nase wegziehen. Dies führt zu Frust. Und weiteren erheblichen Umsatzeinbußen.

Er legt Zahlen des Robert-Koch-Instituts (rki) vor, wonach “Gaststätten unter den geltenden Schutz- und Hygienemaßnahmen keinen wesentlichen Anteil am Infektionsgeschehen” haben, so der Bay. Verwaltungsgerichtshof (BayVGH). Dies ist noch sehr vorsichtig ausgedrückt: wenn von über 40.000 gemeldeten Infektionen ganze 273 (= 0,68%) Gaststätten zugeordnet werden konnten, ist deren Anteil – bei aller vorsichtiger Interpretation dieser Zahlen – verschwindend gering. Dafür gibt es auch einen klaren Grund: Gaststätten arbeiten nach einem strengen Hygienekonzept. Das hier betroffene Gasthaus hatte keine einzige Infektion bisher. Schickt der Gastwirt sein Publikum aber zeitig weg, feiert dieses zu Hause – unkontrolliert – weiter, was wiederum erklärt, warum der Bereich “Privates/Familie” in den Statistiken des rki weit oben an erster Stelle steht. Die Sperrstunde wirkt also kontraproduktiv, weil sie die Gäste in den unkontrollierten Bereich treibt. Wenn es um die “unkontrollierte Verbreitung” des Virus infolge alkoholbedingter Enthemmung gehen sollte, kann auch ein Verbot des Alkoholausschanks als milderes Mittel helfen.

Die Antragstellerin findet darüber hinaus, dass erhebliche Grundrechts-eingriffe nicht von der bisher geltenden (Verordnungs-)Rechtsgrundlage getragen sein können. Sie verweist auf einen, auch von mir erstrittenen, Beschluss des Gerichts vom 28.07.2020 – 20 NE 20.1609, wonach die veröffentlichten Zahlen transparent sein müssen. Das sind sie aber nicht, solange keiner weiß, wo sie herkommen und örtliche Gesundheitsämter mit anderen Zahlen operieren als das rki.

Der Freistaat Bayern tritt dem entgegen: der im Laufe des Abends zunehmende Alkoholkonsum und ein längeres Zusammensitzen in der Gaststätte erhöhten das Infektionsrisiko. Studien aus Japan und den Vereinigten Staaten belegten die Rolle von Bars und Restaurants bei der Ausbreitung von SARS-CoV-2. Auch in Bayern hätten sich kleinere Ausbrüche in Gaststätten und Bars ereignet, z.B. in Garmisch-Partenkirchen am 8.September 2020 (750 Kontaktpersonen), Germering (13.10.2020, 50 Kontaktpersonen) und Freilassing (19.10.2020, 110 Kontaktpersonen). In Garmisch-Partenkirchen hätten die daraufhin angeordneten Beschränkungen, darunter eine Sperrstunde für Gaststätten ab 22 Uhr, zu einem deutlichen Rückgang der Sieben-Tage-Inzidenz beigetragen.

2. Die Entscheidung

Der BayVGH hilft dem Gastronomen nicht. Er lehnte es in einem Eilbeschluss ab, die Regelungen in der bayerischen Corona-Verordnung vorläufig außer Vollzug zu setzen. Das Gericht begründete dies in einem Satz (!) mit dem sich verstärkenden pandemischen Geschehen.

Der 20. Senat äußerte jedoch „erhebliche Zweifel“, ob die Regelungen mit dem Parlamentsvorbehalt bzw. dem Bestimmtheitsgebot vereinbar sind. Da es sich bei den angegriffenen Maßnahmen um intensive und mittlerweile lange andauernde Grundrechtseingriffe handele, reiche für diese die Verordnungsermächtigung der §§ 28, 32 des Infektionsschutzgesetzes möglicherweise (!) nicht mehr aus.

Allerdings „geht der Senat vorläufig davon aus, dass die Voraussetzungen einer ausreichenden gesetzlichen Verordnungsermächtigung demnächst geschaffen werden.“ Deshalb wird der Antrag im Ergebnis abgelehnt.

3. Die Kritik

Für einen Kläger bzw. Antragsteller ist es extrem belastend, minutiös vorzutragen, warum er der falsche ist, der in Anspruch genommen wird, wenn sein Begehr in einem Satz vom Tisch gewischt wird.

Deshalb ist diese Entscheidung nicht nur für den Antragsteller enttäuschend.

Die Argumentation anderer Gerichte, die er zitiert hat und die durchgehend differenzierte Regelungen anmahnen, zu welchen eine starre Sperrstunde in einem hygienetechnisch stark kontrollierten Bereich gerade nicht gehören (so etwa

nimmt der Senat nicht zur Kenntnis. Obwohl er ausdrücklich – und für seine Verhältnisse außergewöhnlich dramatisch – analysiert:

„Vorliegend geht es um Grundrechtseingriffe, die nach ihrer Reichweite, ihrer Intensität und ihrer zeitlichen Dauer mittlerweile ohne Beispiel sein dürften.“

und das Bundesverfassungsgericht seit jeher sagt, aus dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes folge:

„Dieser verpflichtet den parlamentarischen Gesetzgeber, wesentliche, für die Grundrechtsverwirklichung maßgebliche Regelungen selbst zu treffen und nicht anderen Normgebern oder der Exekutive zu überlassen…“ (BVerfGE 33, 125)

hält er eine ungewisse Aussicht, diese Regelungen könnten „demnächst“ (!) vom Bundesgesetzgeber (!!) kommen, für ausreichend.

Dies ist eine klassische „Duck- und Weg-Entscheidung“. Der Senat möchte ersichtlich in der Sache nicht entscheiden, um nicht in „falsches Fahrwasser“ zu geraten. Dafür nimmt er sogar in Kauf, Vertrauen in den Rechtsstaat zu verspielen.

Einen Satz der leider zu früh verstorbenen DDR-Bürgerrechtlerin Bärbel Boley, die ich leider erst spät kennenlernen durfte, kommt mir wieder in den Sinn:

„Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat“.

Hätte der BayVGH sich auf diese Diskussion eingelassen, hätte er dem Antragsteller Recht geben müssen, weil

  • er nachweislich kein Infektionsschwerpunkt ist und daran auch vom Freistaat zitierte Studien aus Japan oder den USA nichts zu ändern vermögen und
  • die angegriffenen Maßnahmen auch seiner Meinung nach keine ausreichende Rechtsgrundlage haben.

Denn unverändert gilt, was das BVerfG schon 1988 im Beschluss zur Fehlbelegungsabgabe gesagt hat:

„Sinn der Regelung des Art. 80 Abs. 1 GG ist es, das Parlament darin zu hindern, sich seiner Verantwortung als gesetzgebende Körperschaft zu entäußern. Es soll nicht einen Teil seiner Gesetzgebungsmacht der Exekutive übertragen können, ohne die Grenzen dieser Befugnis bedacht und diese nach Tendenz und Programm so genau umrissen zu haben, daß schon aus der Ermächtigung erkennbar und vorhersehbar ist, was dem Bürger gegenüber zulässig sein soll“ – BVerfGE 78, 249, 272.

4. So geht es weiter

Mit einem hat der Senat sicherlich Recht: die Sperrzeit ist seit vergangenem Montag ohnehin Geschichte, denn seither gilt die 8. BayIfSMV, und die sieht eine komplette Sperrzeit vor.

Eine alte, aufgehobene Verordnung kann niemand mehr angreifen, und für eine neue braucht es eben ein neues Verfahren.

Dieses ist bereits anhängig und wird den BayVGH zwingen, über Konsequenzen aus seinem Beschluss nachzudenken. Denn wie viel mehr greift das Verbot, seinen Beruf auszuüben, in Grundrechte ein als eine Sperrzeit? Und dies, obwohl immer noch nicht nachgewiesen ist, dass die Gastronomie überhaupt relevante Infektionszahlen generiert.

Es bleibt spannend.

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Fitnessstudio, Tanzschule oder Sportverein: welche Rechte habe ich in Coronazeiten?

Donnerstag, 4. Juni 2020 11:53

von RA Christian Sitter

Viele Freizeitaktivitäten sind wegen der Corona-Schutzmaßnahmen weiterhin nur eingeschränkt möglich. Beiträge wurden dennoch eingezogen. Eventim lehnt Rückzahlungswünsche ihrer Kunden wegen ausgefallener Veranstaltungen rigoros ab. Das wirft eine Reihe von ragen auf, die ich nachfolgend kurz beantworte:

  1. Kann ich meinen Vertrag in der Tanzschule außerordentlich kündigen?

Ich habe bisher noch keinen Vertrag gesehen, der eine Regelung zu pandemiebedingtem Ausfall trifft. Ein sog. “Dauerschuldverhältnis”, d.h. ich nehme eine Leistung mehr als einmal in Anspruch und zahle dafür jeden Monat einen gewissen Betrag, kann jeder Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen. Ein wichtiger Grund liegt nach § 314 Abs. 1 S. 2 BGB vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

Und? Ist das hier so?

Klare Ansage von mir: Dies sehe ich hier nicht. Hier geht es grds. um Gründe, die in de Sphäre des Dienstleisters liegen. Dieser kann aber nichts für eine behördlich angeordnete Schließung.

Außerdem: Die lediglich vorübergehende Schließung eines Freizeitangebots rechtfertigt nicht, das schärfste Schwert zu zücken, dass das Vertragsrecht mir zur Seite stellt, jedenfalls dann, wenn Fitnessstudios, Tanzschulen usw. wieder öffnen. Sie können das Angebot dann sofort wieder nutzen, sobald Ihr Vertragspartner wieder geöffnet hat.

Etwas ganz anderes ist es, wenn Ihr Vertragspartner wesentliche Vertragsleistungen, etwa die Nutzung der Sanitäranlagen, über mehrere Monate nicht erbringt. In einem solchen Fall können Sie zur fristlosen Kündigung berechtigt sein, wenn Sie den Dienstleister zuvor erfolglos zur Leistung aufgefordert haben.

  1. Muss ich meine monatlichen Beiträge trotzdem weiterzahlen?

Eine ganz andere Frage ist, ob ich in der Zeit, in der ich die Leistung nicht in Anspruch nehmen kann, weiter meine monatlichen Beiträge zahlen muss.

Auch hier hilft der Blick ins Gesetz: ist dem Anbieter, hier “Schuldner” genannt, unmöglich zu leisten, entfällt seine Leistungspflicht nach § 275 Abs. 1-3 BGB. Ihre Pflicht, den vereinbarten Beitrag zu zahlen, entfällt nach § 275 Abs. 4 i.V.m. § 326 Abs. 1 BGB. Wer es nachlesen möchte: Sie sind in diesem Fall der “Gläubiger”.

Auf gut Deutsch heißt dies: erbringt das Fitnessstudio, die Tanzschule usw. ihre vertraglich vereinbarte Leistung nicht, müssen Sie als Kunde auch nicht zahlen. Online-Angebote sind übrigens kein Ersatz für persönlichen Unterricht oder Gerätenutzung.

Achtung, wichtiger Hinweis!

Etwas anderes kann dann gelten, wenn Ihr Vertrag vorsieht. dass Ihr Fitnesstudio, Ihre Tanzschule etc. befugt sein soll, Betriebsferien durchzuführen. In diesem Fall können Sie zur Zahlung verpflichtet bleiben.

Checken Sie Ihren Vertrag oder lassen Sie ihn im Zweifel checken!

  1. Was gilt, wenn ich meine Beiträge schon (im voraus) entrichtet habe?

Bislang galt, dass Sie – selbstverständlich, könnte man meinen – einen Anspruch auf Erstattung haben.

Zum 20. Mai 2020 ist allerdings Art. 240 EGBGB in Kraft getreten und wirbelt die bisher geltenden Grundsätze des deutschen Zivilrechts gehörig durcheinander. Sein hier interessierender § 5 besagt in Absatz 2:

“Soweit eine Musik-, Kultur-, Sport- oder sonstige Freizeiteinrichtung aufgrund der COVID-19-Pandemie zu schließen war oder ist, ist der Betreiber berechtigt, dem Inhaber einer vor dem 8. März 2020 erworbenen Nutzungsberechtigung anstelle einer Erstattung des Entgelts einen Gutschein zu übergeben.”

Dies bedeutet: der Dienstleister ist berechtigt, für die Zeit der Corona-bedingten Schließung die Erstattung zuviel entrichteter Beiträge zu verweigern und Ihnen stattdessen einen Gutschein in Höhe der entsprechenden Summe auszustellen. Die sogenannte Gutschein-Lösung gilt für Verträge, die vor dem 8. März 2020 abgeschlossen wurde.

Wichtig: Die Ausstellung des Gutscheins und die Übersendung an den Verbraucher müssen kostenfrei erfolgen. Den Gutschein können Sie unmittelbar nach Wiedereröffnung der Freizeiteinrichtung dann einlösen.

  1. Wann muss ein Gutschein ausgezahlt werden?

Einen Anspruch auf Auszahlung des Gutscheinbetrags haben Sie nur ausnahmsweise, und zwar, wenn

*    Sie den Gutschein bis zum 31. Dezember 2021 nicht eingelöst haben oder

*    der Verweis auf einen Gutschein aufgrund Ihrer persönlichen
     Lebensumstände unzumutbar ist. 

Das bedeutet: Sind Sie ohne die Auszahlung des Gutscheinbetrags nicht in der Lage, Ihre existentiellen Lebenshaltungskosten wie Miet- und Energierechnungen zu begleichen, müssen Sie sich nicht auf die Gutscheinlösung verweisen lassen.

  1. Was gilt im Verein?

Vereine sind ein dauerhafter Zusammenschluss von Mitgliedern, die durch ihren Beitritt u.a. den Vereinszweck anerkennen. Die Mitgliedsbeiträge dienen der Förderung des Vereinszwecks, wie er sich aus der Satzung des Vereins ergibt. Diesen haben Sie auch dann zu fördern, wenn Sie die Einrichtungen des Vereins gar nicht nutzen können. Deshalb bleiben Sie als Vereinsmitglied zur Zahlung verpflichtet.

Haben Sie Fragen? Ich freue mich auf Ihre Rückmeldung!

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Verwaltungsrecht: Entschädigung für Betriebsschließungen: jetzt beantragen!

Dienstag, 5. Mai 2020 18:28

von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht Christian Sitter

„Untersagt sind Gastronomiebetriebe jeder Art.“

Nur eine von vielen Verbotsnormen infolge des „Corona-Lockdowns“, hier § 4 Abs. 2 der 3. BayIfSMV vom 1.5. 2020. Die Betriebe werden langsam aus der Untätigkeit entlassen, einige müssen noch ausharren. Doch was erhalten die Unternehmer eigentlich als Entschädigung dafür, dass sie eine ernsthafte Existenzgefährdung hinzunehmen haben?

Ob die Verbotsmaßnahmen rechtens waren oder nicht, wird vermutlich in der 2. Jahreshälfte die Rechtsprechung zu klären haben. Die meisten Gerichte positionieren sich in ihren Entscheidungen nicht, sondern verweisen lediglich auf die Prognosen der Virologen, denen die Politik immer noch vornehm den Vortritt lässt. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof etwa hielt die 800qm-Regel im Einzelhandel zwar für einen Verstoß gegen Art. 3 GG (Beschl. v. 27.04.2020 – 20 NE 20.793), setzte die Vorschrift aber dennoch nicht außer Vollzug. Bemerkenswert: das Gericht hält eine Verordnung, die noch nter dem Gesetz steht, für verfassungswidrig, tut aber trotzdem nicht das, was das Gesetz von ihm verlangt .

“Kommt das Oberverwaltungsgericht zu der Überzeugung, daß die Rechtsvorschrift ungültig ist, so erklärt es sie für unwirksam.”

(§ 47 Abs. 5 S. 2 VwGO)

Das spricht Bände, oder?

Auch wenn also einige gute Gründe für die Rechtswidrigkeit sprechen: natürlich muss sich die Politik bemühen, Gefahr für Leib und Leben der Bürger so gut es geht auszuschließen.

Unser Thema ist daher weniger, ob die getroffenen Schutzmaßnahmen rechtswidrig waren oder nicht. Auch wenn sie rechtmäßig waren, gebührt den Unternehmern als wirtschaftlich Hauptleidtragenden für die ausgebliebenen Einnahmen eine Entschädigung.

Die Behörden meinen, das Infektionsschutzgesetz (IfSG) gebe hierzu keine Grundlage.

Beispielhaft etwa die Thüringer Aufbaubank:

„Wichtiger Hinweis:

Anderweitige Entschädigungen – etwa bei Umsatzeinbußen oder Auftragsausfällen – sind nicht Gegenstand einer Entschädigung nach § 56 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz und können daher über das Thüringer Landesverwaltungsamt nicht reguliert werden!

Die von Bund, dem Land Thüringen oder Kommunen (Städte und Gemeinden) angeordneten Betriebsschließungen auf der Grundlage von Erlassen oder Allgemeinverfügungen sind regelmäßig keine Quarantäne oder Tätigkeitsverbote i. S. d. Infektionsschutzgesetzes und werden vom Geltungsbereich des § 56 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz grundsätzlich nicht erfasst.“

Es entspricht unseres Erachtens aber nicht nur dem Gebot der Gerechtigkeit, sondern auch der aktuellen Rechtslage, dass es einen solchen Entschädigungsanspruch für denjenigen geben muss, der infolge einer staatlichen Maßnahme ein Sonderopfer für die Allgemeinheit erbringen muss. Der allgemeine Aufopferungsanspruch ist gewohnheitsrechtlich anerkannt und folgt unmittelbar aus Art. 14 GG. Untersagt die Verwaltung des Betriebs eines Gewerbes, liegt darin natürlich ein Eingriff in den durch Art 14 GG geschützten eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, der entschädigt werden muss. Die Normen des IfSG sind nicht abschließend, wenn eine Entschädigung verfassungsrechtlich geboten und ganz offensichtlich vom Gesetzgeber bislang nicht hinreichend bedacht wurde. Der Gedanke der Aufopferung ist nicht nur geltendes Recht, er ist auch im besten Sinne gerecht: von Einzelhändlern bis zu Gastronomen und Hoteliers wählt die öffentliche Hand  nicht alle, aber bestimmte Unternehmen aus, die schließen müssen. Gut möglich, dass dies vernünftig und richtig war. Wenn die so Betroffenen der Gemeinschaft aber einen „Solidaritätsdienst“ erweisen, um die Ausbreitung des Virus zu stoppen, dies aber mit Umsatzausfällen in Milliardenhöhe bezahlen, ist es genauso vernünftig und richtig, sie nicht auf ihrem Schaden sitzen zu lassen und diesen vielmehr auf die Schultern der Gemeinschaft, sprich: Steuerzahler gerecht zu verteilen.

Die Entschädigung bezieht sich auf den „Verdienstausfall“ des § 56 IfSG. Gewinnerwartungen fallen jedenfalls dann unter Art. 14 GG, wenn sie hinreichend konkretisiert sind, was anhand der letzten drei BWA, Summen- und Saldenlisten etc. nachzuweisen sein wird.

Wenngleich § 56 IfSG hier nicht, auch nicht analog angewandt wird, sollte rein vorsorglich dennoch die dort stehende Frist beachtet werden: die Anträge sind gem. § 56 Abs. 11 S. 1 IfSG innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Einstellung der verbotenen Tätigkeit oder dem Ende der Absonderung bei der zuständigen Behörde zu stellen.

Dies wäre im Zweifel der 24. Juni 2020.

Allerdings: um solche Ansprüche geltend zu machen, müssen zuvor die Rechtsbehelfe gegen die beeinträchtigenden Maßnahmen selbst eingelegt wurden (Vorrang des Primärrechtsschutzes), und zwar sowohl als Eilrechtsschutz als auch in der Hauptsache. Im deutschen Recht ist es nicht möglich, eine hoheitliche Maßnahme zu dulden, und erst dann die Hand aufzuhalten.

Klingt kompliziert? Ist es wohl auch.

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Datenschutz: wenn die Deutsche Bahn Gretas Fahrstrecke mitteilt…

Mittwoch, 18. Dezember 2019 22:13

von RA Christian Sitter

Von Landesdatenschutzbeauftragten sind wir ja schon einiges gewohnt, seit die DSGVO gilt. Einige vertraten anfangs die Auffassung, es gebe derzeit keine Rechtsgrundlage für das Veröffentlichen von Fotografien, auf dem andere Menschen abgebildet sind. Einer wollte im vergangenen Jahr sogar die Klingelschilder an Wohnhäusern entfernen.

Eines ist allen Bundes- wie Landesdatenschützern gemein: Lob für ihre Arbeit bekommen sie eher selten. So ist es nicht verwunderlich, wenn in der Berliner Behörde sämtliche roten Lämpchen angehen, wenn DIE Lichtgestalt aller billig und gerecht Denkenden im Lande, die Klimaikone Greta Thunberg, in der Bahn durch Deutschland fährt und sich mit dem Social-Media-Team der Deutsche Bahn AG einen munteren Twitterchat liefert.

Greta reiste also in einem überfüllten Zug durch Deutschland und twitterte hierzu ein Foto, wie sie mit einem größeren Kofferkonvolut auf dem Boden sitzt. Die Antwort aus der Presseabteilung der Bahner kam prompt:

Wir haben uns gefreut, dass Du am Samstag mit uns im ICE 74 unterwegs warst…. Noch schöner wäre es gewesen, wenn Du zusätzlich auch berichtet hättest, wie freundlich und kompetent Du von unserem Team an Deinem Sitzplatz in der Ersten Klasse betreut worden bist.

Wasser auf die Mühlen der Kritiker lieferten befragte Bahn-Servicemitarbeiter, die kundtaten, die Mitarbeiter hätten sich „ein Bein für sie ausgerissen und Greta verwöhnt”.

Exit Klatschpresse, Auftritt Landesdatenschutzbehörde des Landes Berlin: die wolle “mit dem Konzern ein ernstes Wort reden”, meldete der “Tagesspiegel”, der ohne datenschutzrechtliche Grundlage personenbezogene Daten wie Reiseroute oder Sitzplatzreservierung, auch noch in der 1. Klasse, öffentlich gemacht habe.

In der Tat: so detailliert hatte es der prominente Fahrgast nicht mitgeteilt.

Uns so gab die Aufsichtsbehörde sich in ihrer Pressemitteilung erfreulich auskunftsfreudig: dies sei Datenverarbeitung, die einer Rechtsgrundlage bedürfe. Die Stellungnahme darf wohl so verstanden werden: diese sah die Behörde “derzeit” nicht.

Und so übertraf sich die deutsche Qualitätspresse wieder einmal bei der Suche nach der Superschlagzeile: “Twitter-Zoff um Greta Thunberg: Jetzt drohen der Deutschen Bahn Konsequenzen”, titelte etwa der Münchnener Merkur. “Die Greta-Tweets der Deutschen Bahn haben nun ein Nachspiel”, bellte der “Focus”. “Für die Berliner Datenschutzbeauftragte ist das keine Bagatelle”, meinte der “Spiegel”.

Zwei Rechtsgrundlagen kommen hier zugunsten der Bahner in Betracht:

  1. Eine Einwilligung (Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. a) DSGVO) hatte die junge Schwedin nicht erteilt.
  2. Ein berechtigtes Interesse (Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f) DSGVO) für die Veröffentlichung ist denkbar, steht aber nach dem Gesetzestext unter dem Vorbehalt einer Interessenabwägung, “insbesondere dann, wenn es sich bei der betroffenen Person um ein Kind handelt”.

Lieber Leser: erwarten Sie bitte keine Antwort von mir auf die Frage, ob es denn sein kann, dass einem “Kind” eine absolute und keinen Widerspruch duldende Kompetenz in komplizierten klimatechnischen Fragestellungen zugebilligt wird, es aber bei der Abwägung in einer vergleichsweise harmlosen Angelegenheit absolut schutzbedürftig sein soll.

Schauen wir uns hingegen die Rechtsgrundlage “berechtigtes Interesse” einmal näher an: das Bild der inmitten ihrer vielen Koffer und Reisetaschen auf dem Boden sitzenden Greta, Sie haben es sicherlich schon gesehen, erweckt Mitleid und evoziert unweigerlich die Frage:

“Konnten denn die grausamen Bahner, wenn eine “weltberühmte Klimaaktivistin” sich schon nach langer, zehrender Reise im Namen des Guten erbarmt, ihr kümmerliches Reisemittel also aufzuwerten, nicht wenigstens einen einzigen Sitzplatz freihalten?”

Darf dann das angesprochene und ohnehin an positiven Schlagzeilen alles andere als verwöhnte Unternehmen, das durchaus einen, auch mehrere Plätze freigehalten und dem prominenten Fahrgast alle Wünsche von den Augen abgelesen hatte, zumindest mitteilen: “Wir haben uns ja bemüht, liebe Greta, hau bitte nicht so fest drauf?”

Im Äußerungsrecht nennt man das wohl “Recht zum Gegenschlag”. Im Presserecht kommt hinzu: wer selber persönliche Details von sich offenbart, muss sich nicht wundern, wenn diese dann auch Gegenstand der öffentlichen Berichterstattung werden (sog. “Selbstöffnung”).

Hierbei scheint es sich um ein allgemeines Rechtsprinzip zu handeln, dass auch von sehr strikten datenschutzrechtlichen Regelungen nicht völlig unberührt bleiben kann, oder?

Ihr Gefühl trügt nicht, lieber Leser. So kompliziert und weltfremd ist das neue Datenschutzrecht gar nicht. In Erwägungsgrund 47 zur DSGVO lesen wir:

Ein berechtigtes Interesse könnte beispielsweise vorliegen, wenn eine maßgebliche und angemessene Beziehung zwischen der betroffenen Person und dem Verantwortlichen besteht, z. B. wenn die betroffene Person ein Kunde des Verantwortlichen ist oder in seinen Diensten steht. 3Auf jeden Fall wäre das Bestehen eines berechtigten Interesses besonders sorgfältig abzuwägen, wobei auch zu prüfen ist, ob eine betroffene Person zum Zeitpunkt der Erhebung der personenbezogenen Daten und angesichts der Umstände, unter denen sie erfolgt, vernünftigerweise absehen kann, dass möglicherweise eine Verarbeitung für diesen Zweck erfolgen wird.

(Hervorhebung durch Unterzeichner)

Und wenn Sie mich fragen: NATÜRLICH durfte und mußte Greta davon ausgehen, dass die Deutsche Bahn AG die Gelegenheit zum Gegenschlag nutzen würde. Ein schutzwürdiges, gar überwiegendes Interesse, die Öffentlichmachung der Fahrt in der 1. Klasse zu verhindern, vermag ich nicht zu erkennen.

Es darf davon ausgegangen werden, dass die Berliner Datenschützer diese Erwägungen durchaus kennen. Deshalb wollen sie ja auch nur “sprechen”. Von Bußgeld ist nicht die Rede. Aber schöne Schlagzeilen hatten sie in jedem Fall. Die Öffentlichkeit wird wohl von diesem “Datenskandal” nie wieder hören.

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Verwaltungsrecht: Entlassung eines Beamten auf Probe wegen fehlender charakterlicher Eignung

Montag, 16. Dezember 2019 21:22

Beamte auf Probe stehen, wie der Name schon sagt, noch unter „Bewährung“. Sie haben ihre Ausbildung, „Vorbereitungsdienst“ genannt, erfolgreich absolviert und müssen sich nunmehr in der Praxis bewähren. Kommen Sie ihren Dienst und Treuepflichten nicht nach oder begehen sie ein schweres Dienstvergehen, können sie ggf. sofort aus dem Dienst entlassen werden.

Der Fall:

Vor allem Polizeibeamte haben es schwer. Die operative Tätigkeit bedarf detaillierter Schulung. Diese findet auch schon einmal von Montag bis Dienstag „jott weh deh“ (janz weit draußen) statt, hier im Rahmen der OPE (operativen Einheit). Nach anstrengendem Tagesprogramm saß die Einheit abends in der Blockhütte zusammen und konsumierte Alkohol. Der Antragsteller verließ den Raum, um kurze Zeit später an der Fensterscheibe, und für alle im Raum einsichtig, seine privaten Teile zu entblößen.

Drei Monate später tat er mit einem Kollegen und einer Kollegin nächtlichen Streifendienst. Man unterhielt sich angeregt über Piercings. Unser Beamter auf Probe habe daraufhin „seine Hose geöffnet und seinen Penis herausgenommen, um den Anwesenden sein Intimpiercing zu präsentieren.“ Immerhin nicht während der Fahrt.

Es kam trotzdem, wie es kommen mußte. Die Dame im Bunde fand das nicht lustig und beschwerte sich. Es kam zu einem Disziplinarverfahren, das mit einer Entlassungsverfügung endete.

Das Problem:

Der Polizist trug vor: alles halb so wild! Er habe die Gruppe angesichts eines „knochenharten Dienstes“ nur zum Lachen bringen wollen. Die Kollegen hätten ihn dazu aufgefordert.

Der Dienstherr blieb hart: er habe die Handlung „selbst und eigenhändig” begangen. Allein diese Handlung reiche aus für die Feststellung, dass er charakterlich für den Beruf eines Polizeibeamten nicht geeignet sei. Ihm müsse „nach einer Ausbildungszeit von drei Jahren und der Dienstverrichtung als ausgebildeter Polizeikommissar von zwei Jahren” bewusst sein, dass er selbst und nicht andere für seine Handlungen verantwortlich seien. Gerade als Polizeibeamter müsse er charakterlich so stark und gefestigt sein, um derartigen Versuchungen zu widerstehen und Begehrlichkeiten und Wünsche Dritter abzulehnen.

Die Entscheidung:

Das VG Saarlouis (Beschl. v. 17.10.2018 – 2 L 1276/18) hielt die Entscheidung. Der Antragsteller habe „in gravierender Weise gegen die Pflicht zu einem achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten – § 34 Satz 2 BeamtStG – bzw. gegen Anstandspflichten verstoßen.“ Der Dienstherr durfte „angesichts der Schwere der Vorfälle und des Umstands, dass kein einmaliger Vorfall dieser Art in Rede steht, zurecht davon ausgehen, dass künftig keine anhaltende Verhaltensänderung zu erwarten sein wird, das Vertrauen des Dienstherrn vielmehr nachhaltig zerstört“ sei.

Auch die Beschwerde zum OVG Saarlouis (Beschl. v. 06.03.2019 – 1 B 309/18) war nicht von Erfolg gekrönt: dem Dienstherrn obliege „die prognostische Einschätzung, ob der Beamte den Anforderungen, die mit der Wahrnehmung der Ämter seiner Laufbahn verbunden sind, voraussichtlich gerecht werden wird. Dabei gilt nach § 34 Satz 3 BeamtStG für alle Beamten, dass ihr Verhalten der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden muss, die ihr Beruf, hier der Beruf eines Polizeibeamten, erfordert.“

Heißt: wer zwei Mal die Hose runterläßt, ist charakterlich ungeeignet. Ob im Dienst oder nicht, spielt keine Rolle.

Fazit:

Von den Kommissarsanwärtern an der Thüringer Fachhochschule, Abt. Polizei, werden Geschichten erzählt, sie hätten sich auf der noch warmen Motorhaube des Dienst-BMWs direkt nach einem Einsatz subjektiven Lustgefühlen hingegeben. Sie sind Anwärter geblieben. Drum überlege, wer Beamter auf Lebenszeit werden will, dass er jeden Tag die Wahl hat zwischen seinen eigenen Glücksvorstellungen und dem, was er bei der konsequenten Verfolgung derselben verlieren kann.

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Datenschutzrecht: Videoüberwachung in Arztpraxen zumeist unzulässig

Donnerstag, 20. Juni 2019 23:23

Eine der brennendsten Fragen des Datenschutzrechts: wie weit darf Videoüberwachung gehen? Dürfen Ärzte ihre Praxis überwachen, wenn der Eingangstresen nicht besetzt ist? Dieser gängigen Praxis hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG, Urt. v. 27.03.2019 – 6 C 2.18) jetzt ein Ende bereitet. Das Urteil ist nicht nur für Arztpraxen interessant.

Der Fall

Eine Zahnärztin überwachte den Empfangsbereich und das Wartezimmer ihrer Praxis per Videokamera aus dem Behandlungszimmer heraus, da der Eingangstresen nicht ständig besetzt ist. Sie wies sowohl vor der Tür als auch am Tresen per Schild auf die Videoüberwachung hin. Der Landesdatenschutzbeauftragte gab der Klägerin per Bescheid auf, die Videokamera so auszurichten, dass der den Patienten zugängliche Bereich vor dem Eingangstresen, also Flur, Eingangstür und Wartezimmer nicht mehr erfasst werden. Mit anderen Worten: er untersagte ihr Aufnahmen aller Bereiche, in denen sich Patienten bewegen, auch des Wartezimmers.

Das Urteil

Die Zahnärztin klagte gegen diesen Bescheid und argumentierte, sie sei auf die Überwachung angewiesen: Personen könnten ihre Praxis betreten, um Straftaten zu begehen. Ebenso könne sie so Patienten nach der Behandlung schnell helfen, wenn sie sich ins Wartezimmer setzten, weil es ihnen schlecht gehe. Dem BVerwG reichte dies nicht. So pauschale Gründe könnten den mit der Überwachung verbundenen gravierenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht nicht rechtfertigen. Vielmehr bedürfe es „berechtigter Interessen“, die Vorrang vor dem Datenschutz der Patienten haben. Solche trug die Klägerin aber nicht vor, weshalb die Klage der Abweisung unterlag. Das BVerwG hält es sogar für zumutbar, dass die Ärztin den Eingangstresen dauerhaft besetzt, auch wenn dies mit erheblichen Mehrkosten verbunden sein mag.

Das BVerwG stellte gleichfalls klar, dass die DSGVO erst für Datenschutzverstöße gelte, die ab dem 25.5.2018 geschehen seien. Vorher gilt das BDSG, das hier in § 6b Abs. 1 BDSG a.F aber eine ganz ähnliche Regelung vorhielt.

Fazit

Das kommt nicht nur in Arztpraxen vor: auch Unternehmen, Supermärkte, Sportvereine, die ihr teures Equipment schützen wollen, sogar Privatpersonen installieren vor ihrem Haus eine Videokamera zwecks Überwachung der Besucher und Passanten. Das BVerwG hat jetzt klargestellt, dass dies in den meisten Fällen nicht zulässig ist, sofern der Verantwortliche hierfür keinen wichtigen Grund hat, der das Persönlichkeitsrecht der Überwachten überwiegt. Supermarktbesitzer dürfen Ladendiebe weiterhin überwachen, Unternehmer ihre Mitarbeiter aber jedenfalls dauerhaft nicht. Eine zulässige Videoüberwachung setzt voraus, dass der Verantwortliche

  1. das überwachte Publikum hierüber unmißverständlich aufklärt und
  2. hierfür einen wichtigen Grund anführen kann, ggf. den überwachten Bereich einzuschränken hat.

Das Urteil erging zwar zur alten Rechtslage, dürfte stellte das BVerwG sicherheitshalber klar, dass seine Entscheidung auch unter Geltung der DSGVO kaum anders ausgefallen wäre. Auch Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f) DSGVO setzt ein berechtigtes Interesse voraus, das gegen das Recht des Betroffenen abzuwägen ist.

Was ist zu tun?

Vorsicht Abmahngefahr! Datenpannen sind nicht nur bußgeldbewehrt, sondern können vom Betroffenen auch zivilrechtlich abgemahnt werden. Setzt dieser seine Unterlassungsansprüche anwaltlich durch, wird es noch teurer. Der Einsatz einer Videokamera will daher wohl überlegt sein.

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