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Wer kämpft kann verlieren – Wer nicht kämpft, hat schon verloren!

Sonntag, 23. November 2025 11:52

Von RA Christian Sitter, Fachanwalt für Verkehrsrecht

  • Geblitzt?
  • Mit dem Handy am Steuer erwischt?
  • Angeblich rote Ampel überfahren?
  • In einer Verkehrsunfallsache voreilig von den ermittelnden Polizeibeamten als Schuldiger „überführt“?

Immer wieder werden wir gefragt, ob es denn Sinn macht, gegen ein Bußgeld vorzugehen.

Meine Antwort als erfahrener Verkehrsrechtler: fast immer! Eine Verurteilung in einem OWi-Verfahren kann mittlerweile wesentlich gravierendere Folgen für einen Betroffenen haben als in einem Strafverfahren. Nicht selten geht es um dessen berufliche und damit wirtschaftliche Existenz, wenn ein Moment der Nichtaufmerksamkeit ein vielleicht dreimonatiges Fahrverbot nach sich zieht. Für den Geschäftsführer einer kleinen Handwerksfirma, einen Vertriebsleiter, einen Berufskraftfahrer kann dies das berufliche „Aus“ bedeuten. Schon ein Fahrverbot von einem Monat kann sich als wirtschaftlich fatal erweisen, wenn Sie auf Gedeih und Verderb auf Ihre Fahrerlaubnis angewiesen sind.

Allerdings: wer im OWi-Verfahren erfolgreich sein will, braucht nicht nur juristisches Handwerkszeug, sondern auch Haltung. Denn bis zur Verfahrenseinstellung oder „Deal“ mit dem Gericht haben Gesetzgeber und Rechtsprechung viele teils bedenkliche Hürden aufgebaut. Das Gesetz sieht Verkehrs-OWis als „Massenverfahren“, für die viele Beweiserleichterungen gelten. Dies führt oft dazu, dass ohnehin stark belastete Richter die Verfahren am liebsten schnell durchwinken.

Eine Kunstschöpfung der Bußgeldsenate der Oberlandesgerichte hilft ihnen dabei:

Wird ein gängiges Messgerät von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in seiner Bauart zugelassen, vorschriftsmäßig geeicht und achtet besonders geschultes Personal auf die vorschriftsmäßige Bedienung, spricht man vom „standardisierten Messverfahren“. Das Gericht darf dann unterstellen, dass allein durch die Zulassung durch die Bundesanstalt alle Geräte dieses Typs fehlerfrei funktionieren. Will der Mandant dies überprüfen lassen, muss er konkrete Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit der Messung vorbringen. Tut er dies nicht, braucht der Tatrichter einem Beweisantrag nicht nachzugehen und kann diesen gem. § 77 Abs. 2 S. 1 OWiG als „zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich“ ablehnen.

Wie soll er aber Messfehler rügen, wenn er über die Messung überhaupt nichts sagen kann? Sein Verteidiger kann Akteneinsicht beantragen, nur um dann festzustellen, dass wesentliche Unterlagen und Informationen gar nicht enthalten sind. Rügt er dies, bekommt er oft vom Tatrichter zu hören, dass es auf diese Informationen gar nicht ankommt.

Verstehen Sie jetzt, was ich mit „Haltung“ meine?

Die Verteidigung in OWi-Verfahren ist das Bohren besonders dicker Bretter. Das sich aber am Ende nicht selten lohnt. Wenn der Verteidiger am Ball bleibt und die Rechte des Mandanten immer wieder gebetsmühlenhaft geltend macht.

Welche Stufen der Verteidigung gibt es überhaupt?

  1. Der Verteidiger greift bereits die tatsächlichen Voraussetzungen des Vorwurfs an den Mandanten an;
  2. Der Verteidiger prüft, ob der Bußgeldbescheid wirksam ist;
  3. Der Verteidiger bereitet die Hauptverhandlung vor;
  4. Der Verteidiger nutzt neue Umstände, die in der Hauptverhandlung auftreten, zu Beweisanträgen, Einstellungsanträgen oder dem Angebot, ein Fahrverbot gegen angemessene Erhöhung der Geldbuße fallen zu lassen;
  5. Der Verteidiger prüft, ob Verfahrens- oder (allgemeine) Sachrüge im Rechtsbeschwerdeverfahren Erfolg versprechen.

Erfolg gibt es nicht auf dem Weg des geringsten Widerstands.

Erfolg gibt es dort, wo die Verteidigung bereit ist, Konflikte auszutragen.

Erfolgreiche OWi-Verteidigung heißt: nicht klein beigeben.

Wir erleben es jeden Tag: Dort, wo Verteidiger klar auftreten, wo sie

•           Akteneinsicht richtig durchfechten,

•           Messdaten einfordern,

•           Sachverständige selbst bestimmen,

•           Vorgaben der Rechtsschutzversicherer zurückweisen,

•           und notfalls Beschwerde einlegen,

dort kommen Einstellungen und Deals.

Nur ein Beispiel: in einem OWi-Verfahren mit Fahrverbot wegen Geschwindigkeitsverstoß gegenüber einem ehem. Olympiasieger, jetzt Leiter einer Sportschule, sind uns nicht erklärbare Reflexionen auf dem Frontfoto aufgefallen. Ein eingeholtes und vom Rechtsschutzversicherer gedecktes Sachverständigengutachten bestätigte unseren Verdacht und es kam sehr zur Freude des besorgten Mandanten zur Verfahrenseinstellung.

In einem anderen Verfahren wegen angeblicher Handynutzung am Steuer konnten die als Zeugen in der Hauptverhandlung vernommenen Polizisten auf gezielte Befragung nicht bestätigen, dass der Mandant das Mobilgerät auch genutzt hat. Es nur in die Hand zu nehmen und wegzulegen ist kein Verstoß gegen die StVO. Auch dieses Verfahren wurde eingestellt.

Und dort, wo man „es halt so hinnimmt“?

Da gewinnt die Gegenseite — ganz leise, ganz systematisch.

OWi-Verteidigung ist heute mehr denn je eine Verteidigung gegen das System.

Unser Versprechen: wir verwalten Ihr Verfahren nicht nur, wir stehen für Sie ein!

Der Verfasser dieses Beitrages ist seit fast 20 Jahren Fachanwalt für Verkehrsrecht und Autor diverser Bücher zum OWi-Verfahren. Vertrauen Sie ihm ihren Fall an!

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Verwaltungsrecht: „Section Control“, die Streckenkontrolle, kommt vorerst nicht

Donnerstag, 28. März 2019 1:09

Das erste Messgerät im Straßenverkehr, das längere Strecken kontrolliert, ist erst einmal wieder abgeschaltet. Wie das Verwaltungsgericht Hannover (Urt. v. 12.03.2019, Az. 7 A 849/19) entschied, gibt es keine Rechtsgrundlage für den Betrieb einer Radaranlage, die die Kennzeichen sämtlicher vorbeifahrender Autos erfasst.

Der Fall:

Das Land Niedersachsen betreibt auf der BAB6 in Laatzen zwischen den Anschlussstellen Gleidingen und Rethen seit dem 14.1.2019 ein „Section Control“ genanntes System, bei dem die Kennzeichen aller durchfahrenden Autos erfasst werden. Die Radaranlage ermittelt bei jedem Kfz das Durchschnittstempo auf einem 2,2 km langen Streckenabschnitt. Die Kennzeichen der Fahrzeuge, die sich an die zugelassene Geschwindigkeit gehalten haben, werden beim Ausfahren sogleich wieder gelöscht, bei den anderen beginnt das Bußgeldverfahren. Autofahrer, die, wie etwa auf der BAB71 in Thüringen mit fünf stationären Blitzern, immer kurz vor der Kamera abstoppen, um dann wieder Gas zu geben, werden sich beim Betrieb eines solchen Gerätes künftig umstellen müssen. Kein Wunder, dass Bußgeldstellen in der ganzen Republik mit Spannung auf den Testbetrieb in Niedersachsern schauen. 141 Bußgeldbescheide in fast zwei Monaten wurden erlassen. Aber ist die Erfassung aller durchfahrenden Fahrzeuge wirklich gerechtfertigt?

Das Problem:

Der Kläger trägt vor, er befahre diese Strecke fast täglich; die anlasslose Kennzeichenerfassung und -verarbeitung stelle einen nicht gerechtfertigten Eingriff in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) dar. Sie verletze sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Es fehle an der notwendigen Rechtsgrundlage hierfür. Er beantragt, das Land Niedersachsen zu verurteilen, es zu unterlassen, mittels des Geschwindigkeitsmessgerätes „Section Control“ auf der Bundesstraße B 6 in Laatzen zwischen den Anschlussstellen Gleidingen und Rethen das amtliche Kennzeichen eines jeden von ihm geführten Fahrzeugs zu erfassen und maschinell zu verarbeiten.

Der Landesdatenschutzbeauftragte teilte die Bedenken aus datenschutzrechtlicher Sicht. Seit langem befürchten die Datenschützer, dass viel zu viele Daten intransparent verarbeitet werden.

Die Entscheidung:

Das VG Hannover gab dem Kläger Recht. In einem parallel von diesem geführten Eilverfahren untersagte es dem Land im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig und bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Klageverfahrens den Betrieb der Anlage.

Die Kennzeichenerfassung greife in das Grundrecht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung ein Es verwies auf den Beschluss des BVerfG vom 18.12.2018, Az. 1 BvR 142/15: Es handele sich schon bei der Erfassung der Nummernschilder und nicht erst bei der Verarbeitung zum Zwecke der Einleitung eines Bußgeldverfahrens um die Verarbeitung personenbezogener Daten und damit um einen staatlichen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung. Das BVerfG:

„Zur Freiheitlichkeit des Gemeinwesens gehört es, dass sich die Bürgerinnen und Bürger grundsätzlich fortbewegen können, ohne (…) hinsichtlich ihrer Rechtschaffenheit Rechenschaft ablegen zu müssen“…Jederzeit an jeder Stelle unbemerkt registriert und darauf überprüft werden zu können, ob man auf irgendeiner Fahndungsliste steht oder sonst in einem Datenbestand erfasst ist, wäre damit unvereinbar“.

Der Datenschutzverstoß entfalle also nicht bereits deshalb, dass Kennzeichen beim Ausfahren wieder gelöscht werden, sofern kein Verkehrsverstoß vorlag. Auch, dass die Anklage im Testbetrieb liefe, mache den Datenschutzverstoß nicht ungeschehen.

Eine Rechtsgrundlage zur Rechtfertigung dieses Grundrechtseingriffs existiere nicht. Ob eine solche Rechtsgrundlage überhaupt in die Gesetzgebungskompetenz des Landes Niedersachsen falle oder der Bundesgesetzgeber tätig werden müsse, ließ das Gericht dahingestellt, da jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt weder auf Bundes- noch auf Landesgesetzesebene eine Ermächtigungsgrundlage existiere.

Fazit:

Problem erkannt, Problem gebannt?

Das neue niedersächsische Polizei- und Ordnungsbehördengesetz, das derzeit im niedersächsischen Landtag beraten wird, sieht eine ausdrückliche Rechtsgrundlage in § 32 Abs. 6 für die Datenverarbeitung im Rahmen der Abschnittskontrolle zur Geschwindigkeitsüberwachung vor. „Verabschiedet der Landtag dieses Gesetz, ist der Weg für Section Control wieder frei“, meinte dazu die Landesdatenschutzbehörde. Aber genügt es, lediglich eine neue gesetzliche Regelung in die Polizeigesetze der Länder aufzunehmen? Erinnern wir uns kurz an die hektische Betriebsamkeit der Oberlandesgerichte vor gut 10 Jahren, als das BVerfG in seinem Sensationsbeschluss vom 11.08.2009 – 2 BvR 941/08 die anlasslose Brückenmessung kassiert und für kurze Zeit für die fast reine Freude bei Verkehrsanwälten gesorgt hatte, als Bußgeldrichter Verfahren reihenweise fasdt ohnmächtig vor Zorn einstellen mussten. Schon in seinem Urteil vom 11.03.2008 – 1 BvR 2074/05, hatte der 1. Senat ausgeführt:

„Die automatisierte Erfassung von Kraftfahrzeugkennzeichen darf nicht anlasslos erfolgen oder flächendeckend durchgeführt werden. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist im Übrigen nicht gewahrt, wenn die gesetzliche Ermächtigung die automatisierte Erfassung und Auswertung von Kraftfahrzeugkennzeichen ermöglicht, ohne dass konkrete Gefahrenlagen oder allgemein gesteigerte Risiken von Rechtsgutgefährdungen oder -verletzungen einen Anlass zur Einrichtung der Kennzeichenerfassung geben. Die stichprobenhafte Durchführung einer solchen Maßnahme kann gegebenenfalls zu Eingriffen von lediglich geringerer Intensität zulässig sein.“

Die Oberlandesgerichte erklärten flugs § 100h Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG bilde eine hinreichende Rechtsgrundlage für die von der Polizei in Bayern im Rahmen von Brückenabstandsmessverfahren durchgeführten anlassbezogenen (!) Videoaufzeichnungen zur Identifizierung Betroffener (OLG Bamberg, Beschl. v. 16.11.2009 – 2 Ss OWi 1215/09).

Wie gesagt: anlassbezogen. Denn da hatten die Hersteller ihre Geräte bereits so weit umgestellt, dass sie nur noch bei konkretem Verdacht ansprangen. Das wird bei „Section Control“ gerade nicht funktionieren. Weitere Verfassungsbeschwerden sind vorprogrammiert. Die Landesdatenschutzbeauftragten bleiben ebenso aufgefordert, weiterhin genau hinzusehen, was mit den verarbeiteten personenbezogenen Daten geschieht und zu überprüfen, ob die hier erforderliche Datenschutz-Folgenabschätzung nach Art. 35 DSGVO umfassend erfolgt ist.

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