Beiträge vom Juni, 2016

Verkehrsrecht: einmal 28 km/h zu schnell = Vorsatz?

Freitag, 24. Juni 2016 12:32

OLG Hamm: wer innerorts 28 km/h zu schnell fährt, handelt vorsätzlich

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Ein auf den ersten Blick normaler bis uninteressanter Beschluss, hinter dem sich allerdings enormes Konfliktpotential verbirgt: das OLG Hamm hat jüngst entschieden, dass ein Autofahrer ohne weiteres vorsätzlich handelt, wenn er innerorts 78 km/h statt der erlaubten 50 km/h fährt. Dies kann gravierende Auswirkungen haben, an die der Autofahrer zunächst gar nicht denkt, wie hier kurz dargestellt werden soll:

 

Worum geht es?

Hinter dem Ortseingangsschild gilt in aller Regel Tempo 50. Jeder Autofahrer weiß das. Fährt er zu schnell, droht, wenn er geblitzt oder gelasert wird, ein Verwarnungs- oder Bußgeld.

Dessen Höhe richtet sich nach dem Bußgeldkatalog.

In unserem Fall ist nach Nr. 11.3.5 ein Bußgeld von 100 € fällig plus 1 Punkt in Flensburg. Ein Fahrverbot ist hier noch nicht vorgesehen.

Der Bußgeldkatalog geht aber vom sog. „Regelfall“ aus und unterstellt dem Betroffenen zu seinen Gunsten, dass er fahrlässig zu schnell unterwegs war. Kann ihm hingegen Vorsatz nachgewiesen werden, ist gem. § 3 Abs. 4a BKatV der Regelsatz zu verdoppeln. Hat die Bußgeldstelle wegen relevanter Voreintragungen bereits erhöht, kommt die Verdopplung noch oben drauf. Nicht ausgeschlossen ist daneben, dass auch ein Fahrverbot verhängt wird, obwohl die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.

Wann liegt aber Vorsatz vor, d.h. der Vorwurf an den Fahrer, wissentlich und willentlich zu schnell gefahren zu sein?

Das hängt v.a. von der Sicht des Betroffenen und seiner inneren Einstellung zur Tat ab. Diese kennt aber nur der Fahrer selbst. Das OLG Celle hat etwa am 28.09.2000 noch befunden, dass bei einem Geschwindigkeitsverstoß in der Tempo-30-Zone noch kein Raum ist, den Vorsatz einfach zu vermuten. Umso häufiger versucht der Richter, aus einer erheblichen Überschreitung der zugelassenen Geschwindigkeit Indizien für einen Vorsatz herzuleiten, „weil eine solche einem Fahrzeugführer wegen der erhöhten Fahrgeräusche und vor allem des sich schneller verändernden Umgebungseindrucks nicht verborgen geblieben sein kann“ (so etwa OLG Karlsruhe am 28.04.2006).

Auf dieser Linie liegt nun die Entscheidung des OLG Hamm vom 10.05.2016, das lapidar befindet:

Der Bußgeldrichter kann – ohne weitere Feststellungen zum Wissen und Wollen des Fahrzeugführers – von einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung ausgehen, wenn der Fahrzeugführer die zulässige Höchstgeschwindigkeit um mehr als 40 % überschritten hat.

Der Fall

Der 55 Jahre alte Betroffene war „vorbelastet“ und fuhr auch noch ein Fahrzeug der Nobelmarke aus Untertürkheim. Er befuhr in Höxter innerorts die B 64, eine Entlastungsstraße, wo die Höchstgeschwindigkeit 50 km/h beträgt. Eine Lasermessung ergab, dass es bei einem Überholmanöver die Höchstgeschwindigkeit um 28 km/h überschritt hatte. Das Amtsgericht Höxter verdreifachte die Regelbuße auf 300 Euro nach folgender Rechnung:

  1. Regelbuße:   100€
  2. erhöht wegen relevanter Voreintragungen (§ 3 Abs. 2-4 BKat): plus 50 € = 150 €
  3. Verdopplung wegen Vorsatz (§ 3 Abs. 4a BKat):   mal 2 = 300 €.

Die Entscheidung

Die hiergegen vom Betroffenen eingelegte Rechtsbeschwerde hat das OLG Hamm mit Beschluss vom 10.05.2016 als unbegründet verworfen.

Der Betroffene sei zu Recht wegen einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt worden. Bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung handele vorsätzlich, wer die Geschwindigkeitsbeschränkung kenne und bewusst dagegen verstoße. Der Grad der Überschreitung könne ein starkes Indiz für vorsätzliches Handeln sein. Einem Fahrzeugführer könne die erhebliche Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit aufgrund der Fahrgeräusche und der vorüberziehenden Umgebung jedenfalls dann nicht verborgen geblieben sein, wenn er, wie hier, die zulässige Höchstgeschwindigkeit trotz Beschilderung um mehr als 40 % überschreite, zumal wenn er ein anderes Fahrzeug überhole.

Dies allein genüge, weitere Feststellungen müsse der Tatrichter nicht treffen (ebenso OLG Koblenz, Beschl. v. 11.02.1999 – 2 Ss 4/99).

Die Konsequenz

Jeder Autofahrer, zudem der Vorbelastete, hat sich an Geschwindigkeitsregeln zu halten. Kommt er dennoch in die Lage, dass ihm wegen Geschwindigkeitsverstoßes eine hohe Geldbuße oder gar ein  Fahrverbot droht, kommt es entscheidend darauf an, durch einen Fachmann und ggf. mit gutachterlicher Hilfe die Richtigkeit der Messung zu bestreiten. Die Kosten hierfür hat der Rechtsschutzversicherer zu tragen.

Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass diese bei gerichtlich festgestelltem Vorsatz nicht eintrittspflichtig ist.

Es steht zu befürchten, dass der zuständige Richter künftig gerne von der durch das OLG Hamm aufgezeigten Lösung Gebrauch machen oder zumindest androhen wird, auf Vorsatz zu entscheiden, wenn der Betroffene seinen Einspruch nicht zurücknehme. In einem solchen Fall sollte der Betroffene durch einen Fachanwalt für Verkehrsrecht vertreten sein.

 

 

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Verkehrsrecht: Ist der Punktehandel strafbar?

Freitag, 3. Juni 2016 11:22

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Werner M. traf die Post aus der Bußgeldstelle hart: der Berufskraftfahrer hatte eine Rotlichtampel übersehen und soll nun 200 € zahlen. Das zusätzlich verhängte Fahrverbot von einem Monat ist schon kaum durch Urlaub “abzubummeln”. Das Schlimmste aber ist: mit den 2 Punkten im Fahrerlaubnisregister wächst sein “Konto” dort auf 8 Punkte an. “Qualifizierten Rotlichtverstoß” nennt das der Jurist. Damit ist der Führerschein weg. Und der Job gleich mit.

Was tun? Erst mal den Fachmann fragen.

Der gibt zunächst eine kleine “Entwarnung”: der Rotlichtverstoß soll ausweislich des Bußgeldbescheides durch Zeugnis des POM XY nachgewiesen werden. Die durch den Anwalt vorzunehmende Akteneinsicht bringt Gewissheit: der Polizeibeamte hat den Verstoß mit eigenen Augen beobachtet, es gibt keine Aufzeichnung. Er gab zu Protokoll, dass er aus der Fahrzeuglänge, dessen geschätzter Geschwindigkeit und der zurückgelegten Wegstrecke seit dem Umspringen der Ampel auf “Rot” ermittel habe, dass es mehr als eine Sekunde gewesen sei. Nun ja. Das Auge des Gesetzes ist sicherlich wachsam, neigt aber ebenso zu Fehlern wie jeder andere Mensch auch. Das OLG Köln (Beschl. v. 20.03.2012 – III-1 RBs 65/12) fand, dass eine solche Beweisführung mit zu vielen Unsicherheiten behaftet sei und sprach den Betroffenen frei. Das Amtsgericht zuvor hatte, wie so oft, die Berechnung des Polizisten durchgewunken, ohne sich mit dessen Schätzungen auseinanderzusetzen. Auch andere Gerichte (OLG Hamm, Beschl. v. 01.09.2009 – 2 Ss OWi 550/09) haben festgestellt, dass “eine rein gefühlsmäßige Zeitschätzung zufällig anwesender Zeugen” zwar nicht von vorn herein unbrauchbar, aber jedenfalls mit Vorsicht zu genießen sei. Einzurichten hat sich der Mandant aber darauf, dass das Amtsgericht aus dem “qualifizierten” Rotlichtverstoß jedenfalls einen “einfachen” macht. Das würde bedeuten: 90 €, kein Fahrverbot, nur ein Punkt.

Also alles in Butter?

Der Mandant druckst herum. Er habe da noch eine Sache liegen. Geschwindigkeitsverstoß. Auch ein Punkt. Bußgeldbescheid liege seit vier Wochen vor. Einspruch habe er keinen gemacht, da sei ja “nichts zu machen”.

Er habe im Internet von Angeboten gelesen, dass ein Strohmann zugebe, die Tat begangen zu haben und seine Punkte “kaufe”. Er will nun wissen, ob er sich damit strafbar mache, obwohl der Händler auf seiner Webseite versichere, dies sei nicht strafbar.

Das Thema “Punktehandel” ist trotz massiver Versuche durch die Strafverfolgungsbehörden lebendiger denn je. Zunächst tauchten solche “unmoralischen Angebote” vor etwa zehn Jahren bei Ebay auf. Ebay entfernte diese schnell, die Schwerpunktstaatsanwaltschaft Cottbus ermittelte. Indes: zu Verurteilungen kam es ersichtlich nicht.

Der Punktehändler nimmt für seine Dienste ab 250 €. Je nach Verstoß können daraus mehr als 1.000,00 € werden. Aus der Werbung eines Punktehändlers: “Die Geschwindigkeitsüberwachung an einer stark befahrenen Straße gehört zum Polizeialltag. Die Radarkamera fotografiert Autos, die zu schnell fahren. Anschließend wird nicht der Täter gesucht, sondern nur jemand, der bereit ist, die Schuld auf sich zu nehmen. “Geschwindigkeitsüberschreitungen sind ein Massendelikt. Wir haben in der Bearbeitung ein automatisiertes Verfahren. Aus diesem Grund kann es immer möglich sein, dass jemand anderes für diese Geschwindigkeitsüberschreitung vorgeschoben wird”, gibt Ralf Bölck von der Polizei in Flensburg zu.”

 

Billiger ist vielleicht die nächste Verwandtschaft.

Aber ist das denn “legal”?

Zunächst könnte eine mittelbare Falschbeurkundung vorliegen, § 271 StGB. Dann müsste der Mandant, der sich auf den Handel einlässt, bewirkt haben, dass rechtserhebliche Tatsachen unzutreffend in einem öffentlichen Register gespeichert werden. Das Fahrerlaubnisregister ist aber kein “öffentliches” Register, denn Auskunft erhält dort nicht jeder. Dies entfällt also.

Also weiter: liegt eine Strafvereitelung i.S.d. § 258 StGB vor? Nein: Wie der Name schon sagt, vereitelt weder der Betroffene noch der Strohmann die “Strafe” des anderen, sondern letzterer allenfalls eine Ordnungswidrigkeit. Also scheidet auch dies aus.

Aber was ist mit einer falschen Verdächtigung, § 164 Abs. 1 StGB? Dann müsste der Mandant den Strohmann öffentlich wider besseres Wissen einer rechtswidrigen Tat bezichtigt haben. “Tat” meint auch hier eine Straftat, so dass auch dies ausscheidet. Beim Strohmann scheiterts schon daran, dass dieser nicht “einen anderen” verdächtigt.

Letzte Prüfung: § 164 Abs. 2 StGB, mehr fällt mir an Strafnormen nicht ein: “ebenso wird bestraft”, wer öffentlich über einen anderen wider besseres Wissen eine sonstige Behauptung tatsächlicher Art aufstellt, die geeignet ist, ein behördliches Verfahren gegen ihn herbeizuführen. Das tut der Mandant tatsächlich, wenn er den Anhörungsbogen selber ausfüllt. In diesem, und NUR in diesem, Fall ist er strafbar. Gibt er den Anhörungsbogen, wie immer beim Punktehändler, dem Strohmann zum Selberausfüllen, entfällt die Strafbarkeit.

Damit ist der Punktehandel nach meiner Meinung nicht strafbar, wenn der Betroffene den Anhörungsbogen nicht selber ausfüllt.

Er sollte dieser Versuchung dennoch widerstehen: zum einen ist es unmoralisch, zum anderen extrem peinlich, wenn sich im Gerichtssaal herausstellt, dass der Strohmann es gar nicht gewesen sein kann oder auf andere Weise die Wahrheit herauskommt. Der Bußgeldrichter wird ein solches Manöver wohl mit einer empfindlichen Erhöhung mindestens der Geldbuße ahnden.

Deshalb klarer Rat von mir: Finger weg!

Ob dem Mandanten auch in der anderen Bußgeldsache trotz Fristversäumnis noch geholfen werden kann? Schon möglich, aber zu viel will ich hier nicht verraten 😉

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