Verkehrsrecht: einmal 28 km/h zu schnell = Vorsatz?

OLG Hamm: wer innerorts 28 km/h zu schnell fährt, handelt vorsätzlich

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Ein auf den ersten Blick normaler bis uninteressanter Beschluss, hinter dem sich allerdings enormes Konfliktpotential verbirgt: das OLG Hamm hat jüngst entschieden, dass ein Autofahrer ohne weiteres vorsätzlich handelt, wenn er innerorts 78 km/h statt der erlaubten 50 km/h fährt. Dies kann gravierende Auswirkungen haben, an die der Autofahrer zunächst gar nicht denkt, wie hier kurz dargestellt werden soll:

 

Worum geht es?

Hinter dem Ortseingangsschild gilt in aller Regel Tempo 50. Jeder Autofahrer weiß das. Fährt er zu schnell, droht, wenn er geblitzt oder gelasert wird, ein Verwarnungs- oder Bußgeld.

Dessen Höhe richtet sich nach dem Bußgeldkatalog.

In unserem Fall ist nach Nr. 11.3.5 ein Bußgeld von 100 € fällig plus 1 Punkt in Flensburg. Ein Fahrverbot ist hier noch nicht vorgesehen.

Der Bußgeldkatalog geht aber vom sog. „Regelfall“ aus und unterstellt dem Betroffenen zu seinen Gunsten, dass er fahrlässig zu schnell unterwegs war. Kann ihm hingegen Vorsatz nachgewiesen werden, ist gem. § 3 Abs. 4a BKatV der Regelsatz zu verdoppeln. Hat die Bußgeldstelle wegen relevanter Voreintragungen bereits erhöht, kommt die Verdopplung noch oben drauf. Nicht ausgeschlossen ist daneben, dass auch ein Fahrverbot verhängt wird, obwohl die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.

Wann liegt aber Vorsatz vor, d.h. der Vorwurf an den Fahrer, wissentlich und willentlich zu schnell gefahren zu sein?

Das hängt v.a. von der Sicht des Betroffenen und seiner inneren Einstellung zur Tat ab. Diese kennt aber nur der Fahrer selbst. Das OLG Celle hat etwa am 28.09.2000 noch befunden, dass bei einem Geschwindigkeitsverstoß in der Tempo-30-Zone noch kein Raum ist, den Vorsatz einfach zu vermuten. Umso häufiger versucht der Richter, aus einer erheblichen Überschreitung der zugelassenen Geschwindigkeit Indizien für einen Vorsatz herzuleiten, „weil eine solche einem Fahrzeugführer wegen der erhöhten Fahrgeräusche und vor allem des sich schneller verändernden Umgebungseindrucks nicht verborgen geblieben sein kann“ (so etwa OLG Karlsruhe am 28.04.2006).

Auf dieser Linie liegt nun die Entscheidung des OLG Hamm vom 10.05.2016, das lapidar befindet:

Der Bußgeldrichter kann – ohne weitere Feststellungen zum Wissen und Wollen des Fahrzeugführers – von einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung ausgehen, wenn der Fahrzeugführer die zulässige Höchstgeschwindigkeit um mehr als 40 % überschritten hat.

Der Fall

Der 55 Jahre alte Betroffene war „vorbelastet“ und fuhr auch noch ein Fahrzeug der Nobelmarke aus Untertürkheim. Er befuhr in Höxter innerorts die B 64, eine Entlastungsstraße, wo die Höchstgeschwindigkeit 50 km/h beträgt. Eine Lasermessung ergab, dass es bei einem Überholmanöver die Höchstgeschwindigkeit um 28 km/h überschritt hatte. Das Amtsgericht Höxter verdreifachte die Regelbuße auf 300 Euro nach folgender Rechnung:

  1. Regelbuße:   100€
  2. erhöht wegen relevanter Voreintragungen (§ 3 Abs. 2-4 BKat): plus 50 € = 150 €
  3. Verdopplung wegen Vorsatz (§ 3 Abs. 4a BKat):   mal 2 = 300 €.

Die Entscheidung

Die hiergegen vom Betroffenen eingelegte Rechtsbeschwerde hat das OLG Hamm mit Beschluss vom 10.05.2016 als unbegründet verworfen.

Der Betroffene sei zu Recht wegen einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt worden. Bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung handele vorsätzlich, wer die Geschwindigkeitsbeschränkung kenne und bewusst dagegen verstoße. Der Grad der Überschreitung könne ein starkes Indiz für vorsätzliches Handeln sein. Einem Fahrzeugführer könne die erhebliche Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit aufgrund der Fahrgeräusche und der vorüberziehenden Umgebung jedenfalls dann nicht verborgen geblieben sein, wenn er, wie hier, die zulässige Höchstgeschwindigkeit trotz Beschilderung um mehr als 40 % überschreite, zumal wenn er ein anderes Fahrzeug überhole.

Dies allein genüge, weitere Feststellungen müsse der Tatrichter nicht treffen (ebenso OLG Koblenz, Beschl. v. 11.02.1999 – 2 Ss 4/99).

Die Konsequenz

Jeder Autofahrer, zudem der Vorbelastete, hat sich an Geschwindigkeitsregeln zu halten. Kommt er dennoch in die Lage, dass ihm wegen Geschwindigkeitsverstoßes eine hohe Geldbuße oder gar ein  Fahrverbot droht, kommt es entscheidend darauf an, durch einen Fachmann und ggf. mit gutachterlicher Hilfe die Richtigkeit der Messung zu bestreiten. Die Kosten hierfür hat der Rechtsschutzversicherer zu tragen.

Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass diese bei gerichtlich festgestelltem Vorsatz nicht eintrittspflichtig ist.

Es steht zu befürchten, dass der zuständige Richter künftig gerne von der durch das OLG Hamm aufgezeigten Lösung Gebrauch machen oder zumindest androhen wird, auf Vorsatz zu entscheiden, wenn der Betroffene seinen Einspruch nicht zurücknehme. In einem solchen Fall sollte der Betroffene durch einen Fachanwalt für Verkehrsrecht vertreten sein.

 

 

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Datum: Freitag, 24. Juni 2016 12:32
Allgemein

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