Verkehrsrecht: Auffahrunfall auf dem Verzögerungsstreifen

Frage:

Ich befuhr die Autobahn und wechselte auf den Verzögerungsstreifen, um abzufahren. Hinter mir fuhr ein anderes Fahrzeug, das mich überholte und dann auf den Verzögerungsstreifen wechselte, aber dann wohl stark abbremsen musste. Er war noch nicht ganz eingeschert, denn ich fuhr auf seinen rechten Kotflügel auf. Der andere Fahrer behauptet nun, er wäre schon 300 Meter vorher eingeschert, weshalb sein Versicherer mir den Schaden nicht bezahlen will, denn ich sei ja aufgefahren. Was tun?

Antwort:

Beim Auffahrunfall spricht grundsätzlich der erste Anschein gegen den Auffahrenden und wird von seiner vollen Haftung ausgegangen. Der Volksmund sagt: „Wenn’s hinten kracht, gibt’s vorne Geld“. Denn entweder hat er den nötigen Sicherheitsabstand (§ 4 Abs. 1 S. 1 StVO) oder die der Verkehrssituation angepasste Geschwindigkeit (§ 3 Abs. 1 S. 1 StVO) nicht eingehalten oder war sonst unaufmerksam (§ 1 Abs.2 StVO). Dies gilt aber nur dann, wenn sich das vorausfahrende Fahrzeug schon „eine gewisse Zeit“ vor dem nachfolgenden PKW befunden habe, so dass dieser einen ausreichenden Sicherheitsabstand aufbauen konnte. Dies ist hier gerade nicht der Fall und schon deshalb wenig wahrscheinlich, weil der Schaden am hinteren rechten Kotflügel darauf hindeutet, dass der Unfallgegner wohl nicht schon „eine gewisse Zeit“ vor Ihnen gefahren ist. In solchen Fällen spricht der Beweis des ersten Anscheins gerade nicht gegen Sie, wie in einem vergleichbaren Fall jetzt der Bundesgerichtshof entschieden hat (BGH, Urteil vom 30.11.2010, Az. VI ZR 15/10). Mindestens ebenso wahrscheinlich ist nämlich, dass der Überholende in Ihren Sicherheitsabstand hineingefahren ist und deshalb gegen § 7 Abs. 5 StVO verstoßen hat. Können Sie dies etwa durch einen Zeugen oder ein Sachverständigengutachten beweisen, haben Sie gute Chancen, Ihren gesamten Schaden ersetzt zu bekommen. Ist der genaue Hergang nicht erweislich, vor allem ob der Gegner die Spur einige Sekunden vorher oder unmittelbar vor dem Anstoß gewechselt hat, wird es vermutlich auf eine Haftungsteilung hinauslaufen (so etwa das OLG München, Urteil vom 04.09.2009, Az 10 U 3291/09). Ob sich eine Klage lohnt, wird Ihr Fachanwalt für Verkehrsrecht mit Ihnen gerne erörtern.

 

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Datum: Dienstag, 1. Juli 2014 9:01
Allgemein

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