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Verkehrsrecht: Unfallflucht geht nur vorsätzlich

Dienstag, 29. September 2015 9:54

Die Unfallflucht ist ein umstrittener Straftatbestand. In der Öffentlichkeit überwiegt der Eindruck, dass sie fast härter als Körperverletzungsdelikte verfolgt wird, obgleich der Praktiker weiß, dass der Unfallflüchtige weniger aus Rücksichtslosigkeit handelt, sondern einfach menschlich versagt. Auf der anderen Seite kennen wir wohl alle das bedröppelte Gefühl, zu unserem geparkten Wagen zurückzukehren und eine frische Macke, oder mehr, vorzufinden, ohne zu wissen, wer uns diesen Gruß hinterlassen hat.

Umso schöner, wenn sich jemand bei uns meldet, der den Vorfall beobachtet hat. Dies führt meistens dazu, dass wir unseren Schaden ersetzt bekommen.

Aber ist der andere auch strafbar?

Wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort kann nach §§ 142, 15 StGB nur bestraft werden, wer vorsätzlich gehandelt hat, wobei bedingter Vorsatz genügt. Der Täter muss erkannt oder wenigstens mit der Möglichkeit gerechnet haben, dass er einen Gegenstand oder Menschen angefahren und einen nicht völlig bedeutungsloser Schaden verursacht hat. Fahrlässigkeit reicht nicht aus. Es genügt also gerade nicht, dass sich dem Kraftfahrer die Vermutung aufgedrängt hat, er habe einen Verkehrsunfall mit Sachschaden verursacht; er muss Kenntnis hiervon haben. Kann das Gericht ihm dies nicht nachweisen, hat er höchstens fahrlässig gehandelt und ist nicht nach § 142 StGB zu bestrafen.

Dies ist häufig bei einem Bagatellschaden der Fall, wo das eine Auto das andere nur touchiert hat und vielleicht nur ein Farbabrieb zu sehen ist.

Eine neue Entscheidung des Kammergerichts (KG, Beschl. v. 08.07. 2015 – (3) 121 Ss 69/15 (47/15) stellt noch einmal klar, dass das Gericht nicht einfach vom äußeren Tatgeschehen auf die innere Motivation des Angeklagten schließen darf. Anders ausgedrückt: selbst wenn ein Zeuge einen „Knall“ gehört haben will, muss diesen der Flüchtige noch lange nicht gehört haben, v.a. dann nicht, wenn er das Fenster geschlossen und das Radio an hatte. Das KG schreibt dem Amtsgericht, das den Angeklagten verurteilt hatte, klar und deutlich ins Stammbuch, dass sich floskelhafte Ausführungen im Urteil, für den Angeklagten müsse „erkennbar gewesen“ sein, dass er einen nicht unerheblicher Schaden verursacht habe, eigentlich verbieten.

Wie kann man einen Anstoß überhaupt wahrnehmen?

Es gibt drei Arten der Wahrnehmbarkeit, die ich in meinem Buch zum „Straßenverkehrsstrafrecht“ erläutere. Das Kapitel zur Wahrnehmbarkeit der Unfallflucht kann hier heruntergeladen werden.

Die Praxis zeigt, dass bei Bagatellschäden der Nachweis regelmäßig auch dem beigezogenen Sachverständigen nicht gelingt. Es fragt sich, ob solche Fälle immer angeklagt werden müssen. Zieht der Beschuldigte aber rechtzeitig einen sachkundigen Verteidiger zu Rate, kann dieser oft eine Einstellung des Verfahrens bewirken.

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IT-Recht: „Disclaimer“? Raus, aber schnell!

Samstag, 12. September 2015 14:46

Das Abmahnunwesen verleitet viele Shopbetreiber zu halbherzigen „Distanzierungen“ Ihres Onlineangebots, neudeutsch: „Disclaimer“ genannt. Sie setzen dann in etwa folgende Erklärungen auf ihre Seite:

„Die Inhalte der Webseite werden mit größter Sorgfalt erstellt. Dennoch kann keine Garantie für Aktualität und Vollständigkeit übernommen werden.“

Oft finden sich auch Distanzierungen von verlinkten Inhalten in diesen Erklärungen.

Das Problem

Dass dies nicht ungefährlich sein kann, zeigt ein Urteil des LG Arnsberg (vom 03.09.2015 – I-8 O 63/15): ein Onlinehändler hatte einen Mitbewerber auf Unterlassung in Anspruch genommen, weil er befand, der Hinweis könne auch so verstanden werden, dass der Gegner sich vorbehalten wolle, Beschaffenheit und Preise seiner  Produkte einseitig zu ändern.

Der Abgemahnte fiel aus allen Wolken. So einen „Enthaftungshinweis“ habe doch jeder auf seiner Seite heutzutage.  Der Gegner wolle ihm nur eins auswischen. Der Hinweis bedeute doch gar nichts. Schon gar nicht in Bezug auf sein Angebot. Oder?

Stimmt. Allerdings nur insoweit, als sich kein Shopbetreiber mit diesem Hinweis von irgendetwas „enthaften“ kann. Wer rechtswidrige Inhalte auf seiner Seite hat oder auf solche verlinkt, kann hierfür grds. in Haftung genommen werden, ohne dass auch der beste Disclaimer daran etwas ändern kann.

„Disclaimer“ ist AGB

Zunächst muss sich unser Shopbetreiber belehren lassen, dass sein „Diclaimer“ Allgemeine Geschäftsbedingung (AGB) ist, auch wenn er nicht ausdrücklich so betitelt ist (OLG Hamburg, Beschl. v. 10.12.2012 – 5 W 118/12).  Daher unterliegt er der Kontrolle nach §§ 307 ff. BGB. Das OLG Hamburg befindet, dass der Verbraucherschutz hier die sog. „verbraucherfeindlichste Auslegung“ gebiete, und demnach jeder Kunde befürchten müsse, der Verkäufer wolle sich nicht an genau die angepreiste Beschaffenheit des erworbenen Artikels halten. Genau diese Gefahr hat das LG Arnsberg in der o.g. Entscheidung auch gesehen und befunden, die Klausel sei intransparent nach § 307 Abs. 1 S. 2 u. Abs. 2 BGB.

Wettbewerbsverstoß

Damit nicht genug. Wer eine rechtswidrige AGB-Klausel verwendet, verschafft sich im Geschäftsverkehr einen unlauteren Geschäftsvorteil, der abgemahnt werden kann. Denn wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, handelt unlauter, § 4 Ziff. 11 UWG. Er schuldet dann u.a Unterlassung, Beseitigung und Schadensersatz. Dies gilt übrigens auch für die Variante „Keine Abmahnung ohne vorherigen Kontakt“.

Fazit

Ich rate seit langem davon ab, einen Disclaimer zu verwenden, denn dieser ist wie gesehen bestenfalls wirkungslos, dafür wirkt er laienhaft bis hilflos, denn warum sollte ich mich von meinem Angebot distanzieren, wenn ich doch davon, einschließlich der verlinkten Inhalte, überzeugt bin? Kommt nun noch hinzu, dass ich gerade für etwas, was ich vermeiden will, noch abgemahnt werden kann, sollte die Wahl leicht fallen: raus damit, aber schnell 🙂

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Verkehrsrecht: Das letzte Wort des Betroffenen sollte auch im OWi-Verfahren nicht unterschätzt werden

Montag, 24. August 2015 12:19

Das letzte Wort hat der Angeklagte.

 

Das weiß jeder. Für die, die es nicht wissen, steht es in § 258 Abs. 2 StPO. So weit, so unerheblich: Was soll er noch sagen, der Angeklagte und fast-schon-Verurteilte, nachdem Staatsanwalt und ein oder gar mehrere Anwälte, vielleicht noch Vertreter der Nebenklage lange und ohne Pause geredet haben? Manchmal sagt er „Es tut mir Leid“, meistens sagt er „Ich schließe mich meinem Verteidiger an“.

Er muss auch gar nichts sagen. Es kommt ja nichts mehr. Oder doch?

Der Kollege Burhoff berichtet hier in seinem Blog von einem interessanten Fall aus dem OWi-Recht:

Eine Hauptverhandlung in Anwesenheit des Betroffenen, der als LKW-Fahrer einen Abstandsverstoß  begangen haben soll. Am Schluss der Beweisaufnahme erhält sein Verteidiger das Wort. Er beantragt kurz und bündig die Einstellung des Verfahrens. Dann hat der Betroffene das letzte Wort und erklärt, siehe oben, er schließe sich seinem Verteidiger an. Da ergreift erneut der Verteidiger das Wort und beantragt „ergänzend und hilfsweise“, das Gericht möge „lediglich eine Geldbuße von 39 € gegen den Betroffenen“ verhängen.

Wie in OWi-Sachen üblich, hat das Gericht dann sofort im Anschluss das Urteil gegen den Betroffenen verkündet. Es hat den Betroffenen zu einer Geldbuße von 80 € verurteilt. Der findige Verteidiger ging ins Rechtsmittel u.a. mit der Begründung, der Betroffene habe nicht das letzte Wort gehabt.

Hä? Der Amtsrichter muss sich wohl verhohnepiepelt vorgekommen sein, er hatte ja gerade dem Betroffenen das letzte Wort erteilt, wurde aber durch das OLG Celle (Beschl. v. 24.06.2015 – 2 Ss (OWi) 165/15), eines Besseren belehrt. Dieses ließ, was in OWi-Sachen SEHR selten ist, die Rechtsbeschwerde zu und entschied, nachdem der Verteidiger erneut das Wort ergriffen und einen neuen Antrag gestellt hatte, hätte der Betroffene erneut hierzu Gelegenheit zur Stellungnahme haben müssen:

„Die Verfahrensrüge ist auch begründet, denn ausweislich der – mit der Rechtsbeschwerde vorgetragenen – Sitzungsniederschrift hat der Angeklagte nach den nochmaligen Ausführungen seines Verteidigers nicht erneut das letzte Wort erhalten. Eine Verletzung des § 258 StPO begründet zugleich eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. Ott a. a. 0. Rdnr 32). Zwar ist die Verletzung von § 258 kein absoluter Revisionsgrund. das Beruhen des Urteils bei einem solchen Verstoß kann jedoch nur in besonderen Ausnahmefällen ausgeschlossen werden (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, § 258 Rdnr. 34 m. w. N.). Das Beruhen kann hier nicht ausgeschlossen werden, weil der Betroffene den gegen ihn erhobenen Vorwurf bestritten hat und es daher jedenfalls möglich erscheint. dass er zum Schuldvorwurf erneut Stellung genommen und möglicherweise weitere für die Beweiswürdigung maßgebliche, ihn entlastende Umstände vorgebracht hätte.“

Das OLG Celle hat das Urteil aufgehoben und an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Fazit des Kollegen: auch „das letzte Wort nach dem letzten Wort“ muss der Betroffene haben. Auch in der OWi-Verhandlung 🙂

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IT-Recht: AG Erfurt weist Klage der RAe BaumgartenBrandt ab

Montag, 13. Juli 2015 17:17

Auch eine Abmahnung wegen Filesharing erhalten? Gegenwehr lohnt sich!

Die Ausgangslage

Filesharing und kein Ende… seit Jahren verschicken ausgewählte Anwaltskanzleien Schreiben im Namen ihrer Mandanten Universal Music, MFA Filmdistribution oder auch Purzel Video. Böse Zungen behaupten, diese Kanzleien machten wahrscheinlich nichts anderes als das: eine (angebliche) Urheberrechtsverletzung im Internet abmahnen. Dem Adressaten wird vorgeworfen, an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Uhrzeit mit einer bestimmten Torrentsoftware einen Film, eine CD oder einzelne mp3-Dateien im Netz herunter- und wieder heraufgeladen zu haben. Dies sei durch eine eingesetzte Spionagesoftware „beweissicher“ dokumentiert. Er soll hierfür Schadensersatz von 780 € sowie Rechtsanwaltskosten in Höhe von 215 € zahlen und eine beigefügte vorformulierte Unterlassungserklärung unterschreiben.

Der Empfänger dieses Schreibens staunt des öfteren nicht schlecht, weil er von alledem nichts weiß.  Er ist zu der fraglichen Zeit oft gar nicht zuhause gewesen und weiß nicht, was ein „Torrent“ ist. Sein im Haushalt lebender 15jähriger Sohn schon eher. Manchmal räumt dieser ein, die Tat – jawoll, Urheberrechte verletzen kann eine Straftat sein – begangen zu haben. meistens streitet er ab. Er ist ja gehörig „belehrt“, im Netz keine Schmuddelseiten aufzurufen. Die Wahrheit läßt sich selten herausfinden. Oder doch?

Die Argumente

Zumeist argumentieren die Urheber, die Überwachung durch die eingesetzte Ermittlungsfirma zeichne Rechtsverstöße „beweissicher“ auf. Dabei wurde eben festgestellt, dass das fragliche urheberrechtlich geschützte Werk über die IP-Adresse des Mandanten zu einem bestimmten Zeitpunkt zum Download angeboten worden sei.

Die Wahrheit

Bei der Ermittlung der IP-Adresse durch die Ermittlungsfirma handelt es sich um einen sehr fehleranfälligen Prozess, da bei einem solchen Massenverfahren eine Vielzahl von Personen beteiligt ist. Zudem wird zumeist die Zuverlässigkeit der Ermittlungssoftware nicht nachgewiesen.

Aber: es genügt nicht, die Funktionsweise des Geräts anzuzweifeln, wie der BGH jüngst wieder festgestellt hat (in der Pressemitteilung zum Urteil v. 11.06.2015 – Az. I ZR 19/14 ; die Urteilsgründe sind noch nicht veröffentlicht):

„Die theoretische Möglichkeit, dass bei den Ermittlungen von proMedia und des Internetproviders auch Fehler vorkommen können, spricht nicht gegen die Beweiskraft der Ermittlungsergebnisse, wenn im Einzelfall keine konkreten Fehler dargelegt werden, die gegen deren Richtigkeit sprechen. Ein falscher Buchstabe bei der Namenswiedergabe in einer Auskunftstabelle reicht (…) insoweit nicht.“

Aberaber: Der vermeintliche „Verletzer“ kann kaum vortragen, was an dem eingesetzten Gerät nun vielleicht falsch gelaufen ist. Er kann lediglich alles vortragen, was dagegen spricht, dass diese verflixte Datei tatsächlich von seinem Anschluß herunter geladen worden ist.

Manchmal hilft ihm aber der Gegner selber. In unserem Fall hat der Urheber die Software „Observer“ von der Fa. Guardaley Ltd. eingesetzt. Diese soll „beweissicher“ laufen. Komischerweise hat genau dieselbe Anwaltskanzlei BaumgartenBrandt, die hier für die „Zuverlässigkeit“ des „Observers“ streitet, in einem Verfahren vor dem LG Berlin (Urt. v. 03.05.2011 – 16 O 55/11) gegen die Fa. Guardaley argumentiert, diese erbringe „unzuverlässige Recherchedienstleistungen“. Was gilt denn nun? Das OLG Köln, Beschl. v. 20.01.2012 – 6 W 242/12) hat dann in einem anderen Verfahren festgestellt:

„Es kann jedoch nicht festgestellt werden, dass dieses Programm geeignet war, die behaupteten Rechtsverletzungen zuverlässig zu ermitteln“.

Solcherart gerüstet verkündete das AG Erfurt sodann seinen Beweisbeschluss, „zunächst“ die von der Gegenseite benannten Zeugen vernehmen zu wollen. Diese sah nicht ein, die damit verbundenen exorbitanten Kostenvorschüsse zu leisten, blieb beweisfällig, weshalb die Klage abgewiesen wurde:

„Zur Überzeugung des Gerichts steht nicht fest, dass die von der Klägerin behauptete Urheberrechtsverletzung vom Internetanschluss der Beklagten erfolgt ist.“ (AG Erfurt, Urt. v. 29.06.2015 – 12 C 2053/14).

Heute ging das Telefon: die Kanzlei BaumgartenBrandt möchte mit mir gern Vergleichsgespräche führen. Sonst wäre man ja zur Berufung gezwungen. Ich lehne dankend und leichten Herzens ab. Warum, beschreibt der geschätzte Kollege Jan Gerth hier. Kurz zusammengefasst: die von der Klägerin benannten Zeugen waren selber in die Vorgänge nicht eingebunden und können hierzu gar nichts sagen. Außerdem hat schon das OLG Köln a.a.O. festgestellt, dass die Überprüfung rund fünf Jahre später gar nicht mehr funktionieren kann, weshalb auch ein Sachverständigengutachten nicht einzuholen ist.

Meine Prognose: es wird kein Berufungsverfahren geben.

Ach so: In einer anderen Sache am AG Erfurt haben die Kollegen BaumgartenBrandt sich mit ihrem Vortrag zur möglichen Verjährung ihres Anspruchs dermaßen verheddert, dass am Ende nur die Klagerücknahme blieb.

Was lehrt uns das? Ehe Sie leichtfertig Geld verschenken, lieber gleich zum Spezialisten. Der kann auch schon mal in vermeintlich aussichtslosen Fällen helfen. Und kostet weniger, als Sie denken 🙂

 

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Verwaltungsrecht: „Höhere Gewalt“? Was für höhere Gewalt?

Samstag, 30. Mai 2015 16:56

Mit persönlich vom OB gezeichneten Schreiben lehnt die Stadt Gotha derzeit Erstattungsanträge der Eltern ab, die eine Erstattung von Kindergartengebühren für streikbedingt ausgefallene Betreuungszeiten begehren.

Warum ich der Meinung bin, dass diese zu erstatten sind, habe ich hier bereits beschrieben.

Die Stadt Gotha beruft sich zum einen darauf, dass die städtische Satzung eine Erstattung nicht vorsehe, weshalb die „Rechtsgrundlage“ für eine Erstattung fehle. Außerdem wäre ein Streik „höhere Gewalt“. Die Stadt könne nichts für den Ausfall, soll das wohl heißen.

Sie ist aber zugegebenermaßen der große Gewinner des Streiks. In der vergangenen Woche berichtete die „Thüringer Allgemeine“, die Stadt Gotha habe durch den Streik bereits fast 30.000 € gespart. Die Landeshauptstadt Erfurt naturgemäß noch mehr, aber die hat immerhin angekündigt, das Geld in den Spielplatzbau stecken zu wollen. Was Gotha mit dem unerwarteten Geldsegen vorhat, ist nicht bekannt. Der OB ist sich dennoch so sicher, das Geld behalten zu dürfen, dass er in dem Schreiben den Eltern großzügigerweise die „rechtliche Überprüfung“ dieser Entscheidung anheim stellt.

Was ist nun von seinen Argumenten zu halten?

  1. Fehlende „Rechtsgrundlage“

Ob der OB dieses Argument ernst meint? Nirgendwo ist geregelt, dass er etwa streikbegleitend Presseerklärungen herausgeben darf, in denen er die Einkünfte der streikenden Erzieherinnen offenlegt. Er tut dies trotzdem, und greift damit direkt in den Arbeitskampf ein. Ohnehin läßt sich das Pressemanagement der Stadt als außerordentlich gut bezeichnen. Wenige Tage nach meinem Artikel zur Erstattung der Gebühren und noch ehe Erstattungsanträge der Eltern vorlagen, teilte die Stadt, ebenfalls per Pressemitteilung, mit, sie werde nichts erstatten. Ohne Rechtsgrundlage? Wo steht denn ausdrücklich geschrieben, dass sie überhaupt öffentliche Erklärungen herausgeben darf? Oder gilt vielleicht doch noch mehr als das Gothaer Ortsrecht, das BGB z.B., an das auch die Stadt Gotha gebunden ist, und dessen Rechtsgedanken auch im öffentlichen Recht gelten, auch wenn die Erkenntnis schwer fällt? Hier habe ich dazu das Nötige geschrieben.

Eines steht jedenfalls fest: die Kommunen profitieren erheblich vom Streik. Die Eltern zahlen für einen Kindergartenplatz, obwohl die kommunalen Träger die bezahlte Leistung nicht erbringen. Diese wiederum haben den streikenden Erzieherinnen keinen Lohn zu zahlen. Ersparnis? 100 € pro Kind und Tag, so die Stadt Gotha in o.g. Artikel. Auffällig ist auch, dass Kommunen, in denen demnächst Wahlen anstehen, zumindest öffentlich darüber nachdenken, Gebühren zu erstatten. In Gotha scheint da ja niemand etwas befürchten zu müssen…

Grundsätzlich gilt weiterhin, den starken Worten des OB zum Trotz, auch für die die öffentliche Hand, dass sie kein Geld bekommt, wenn sie keine Gegenleistung zu bieten hat. Was auch sonst? Ja, auch wer kein Fernsehgerät vorhält, muss sich mit der GEZ herumschlagen. Auch kann ein Grundstückseigentümer Straßenreinigungsgebühren schulden, wenn er von der Reinigung nichts hat. Der entscheidende Unterschied zu diesen Fällen ist: dort „könnte“ er.

  1. Höhere Gewalt?

Immer wieder bemühen die Kommunen diesen Begriff, um zu suggerieren, sie könnten für die Arbeitsniederlegungen ja nichts. Die relevante Rechtsprechung definiert „höhere Gewalt“ ganz grundsätzlich als ein von außen einwirkendes Ereignis, welches außerhalb des Einflußbereiches von streitenden Parteien liegt. Im Arbeitsrecht kann dies so sein, wenn Streiks auf Zulieferbetriebe ausstrahlen, die mit dem zugrunde liegenden Arbeitskampf nichts zu tun haben. Streiken die Erzieher(innen) kommunaler Einrichtungen, ist die Kommune aber als Partei des Arbeitsvertrages dabei, nur eben vertreten durch den kommunalen Arbeitgeberverband. Mit anderen Worten: sie hat direkt Einfluss auf die Verhandlungen, und tut dies auch lauthals kund. Z.B. indem sie öffentlichkeitswirksam die Bezüge des Personals verkündet, und damit wohl sagen will: „Warum streikt Ihr? Ihr verdient doch mehr als genug!?!!?!!“

Was, bei allem gebührenden Respekt, hat dies mit „höherer Gewalt“ zu tun? Meint die Stadt wirklich, sie dürfe zu Unrecht bezogene Gebühren behalten? Erst Recht das Essensgeld, wo klar ist, dass die Leistung nicht abgerufen wird und Kosten nicht entstehen können?

  1. Was ist zu tun?

Ganz einfach: Sie müssen gar nichts „rechtlich überprüfen“ lassen. Sie teilen der Stadt lediglich schriftlich mit, dass Sie künftig die Zahlungen anteilsmäßig einstellen und offene Beträge, die die Stadt sich weigert zu erstatten, verrechnen werden. Dann läge es an der Stadt, die Eltern in Anspruch zu nehmen für Leistungen, die sie nicht angeboten haben. Ich hielte dies angesichts der bisher dürftigen Argumentation für eher verwegen.

 

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Urheberrecht: Heimliches Anfertigen von Fotos zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten verboten

Mittwoch, 27. Mai 2015 9:37

Besonders gute Mensch_innen sind mitunter nicht besonders zimperlich, wenn es darum geht, Anstand zu erzwingen. Dass es hierbei klare rechtliche Grenzen gibt, hat jetzt das Landgericht Bonn (Urt. v. 07.01.2015 – 5 S 47/14) festgestellt.

Der Fall:

Einem rheinischen Naturfreund mißfiel, dass immer mehr Hundehalter ihre Hunde in den Siegauen, einem Naturschutzgebiet, verbotswidrig frei herumlaufen ließen. Er legte sich auf die Lauer und fotografierte heimlich die Missetäter, um mit den Bildern dann bei der Polizei Anzeige zu erstatten. Ein Hundehalter, der unerfreuliche Post von der Stadt bekam, beauftragte einen Rechtsanwalt, der Akteneinsicht beantragte und erhielt. So kam der Betroffene an den Namen des Anzeigeerstatters, den er prompt verklagte mit dem Antrag, diesem zu verbieten, ihn künftig ohne sein Wissen zu fotografieren.

Das Urteil:

Das Landgericht Bonn (Urt. v. 07.01.2015 – 5 S 47/14) hat jetzt das Urteil des Amtsgerichts Bonn bestätigt, das den Hobbyfotografen dazu verurteilt hatte, Fotoaufnahmen des Klägers beim Hundeausführen in der Siegaue ohne dessen Einwilligung zu unterlassen. Der entsprechende Anspruch des Klägers ergebe sich aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog.

„Das Amtsgericht hat den Beklagten zu Recht dazu verurteilt, Fotoaufnahmen des Klägers beim Hundeausführen in der Siegaue ohne dessen Einwilligung zu unterlassen. Der entsprechende Anspruch des Klägers ergibt sich aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog.“
Wer ohne Einwilligung des Betroffenen Bildnisse hergestelle, greife in dessen Recht am eigenen Bild als Ausprägung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts ein. Die in einem solchen Fall durchzuführende Güter- und Interessenabwägung ergebe, dass der Beklagte rechtswidrig gehandelt habe. Er kann sich als Privatperson nicht auf die Einhaltung der Naturschutzvorschriften und deren hoheitliche Durchsetzung berufen, denn über diese Rechtsgüter kann er nicht verfügen. Ein eigenes Recht, dass Ordnungswidrigkeiten verfolgt werden, hat er nicht, das ist Sache des Staates. Ein „Recht auf eine effektive Anzeige“ kann er allenfalls dann ins Feld führen, wenn seine eigenen Interessen berührt sind. Er kann ja jeden anzeigen, wie es ihm beliebt. Er darf hierzu halt nur keine Fotos machen von Menschen, die dies nicht wissen und wohl auch nicht wollen. Das LG verweist auf einen Beschluss des Oberverwaltungsgericht Lüneburg (Beschl. v. 23.09.2013 – 13 LA 144/12, „Knöllchen-Horst“), dass „selbsternannte Hilfsermittler“ bei massenhaften Anzeigen von Verstößen (dort: Parkverstößen) kein eigenes schützenswertes Interesse haben, „weil sich solche Personen lediglich zum Sachwalter öffentlicher Interessen machen.“
Und die Moral von der Geschicht: Sie machen sich dazu, sind es aber nicht. Das seit dem Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) gesetzlich verankerte Staatsziel, bei ewiggestrigen, besonders uneinsichtigen Personen Anstand zu erzwingen, verleitet manch guten Menschen zu detektivischen Meisterleistungen. Gut, dass es noch Richter gibt, die der totalen Denunziationsgesellschaft klare rechtliche Grenzen aufzeigen.
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Verwaltungsrecht: Gebühren zurück bei Kita-Streik?

Mittwoch, 6. Mai 2015 7:47

Bleibt die Kita wegen anhaltender Streiks geschlossen, stellt sich die Frage, ob die Eltern einen Anspruch haben, Gebühren anteilig erstattet zu bekommen.

Schließt die Einrichtung allerdings streikbedingt nur für einzelne Tage, bedeutet das zunächst nicht, dass die Gebühr nur anteilig zu zahlen ist. Kitagebühren sind Monatspauschalgebühren, einzelne Tage werden grds. nicht berechnet. Die meisten Kindergartenverträge oder Gebührensatzungen enthalten Klauseln über Sonder-Schließtage, die zu bezahlen sind.

Nach § 5 Abs. 4 der Kitagebührensatzung der Stadt Gotha ist der Kitabeitrag auch zu entrichten, wenn

  1. die Einrichtung tageweise geschlossen bleibt (§ 6 der Benutzungssatzung: „Eine tageweise Schließzeit, bei Brückentagen und zu Fortbildungsmaßnahmen, ist möglich.“) oder
  2. der Besuch des Kindes aus Umständen, die die Eltern zu verantworten haben (wie etwa Urlaub, Kur der Eltern, Besuch bei den Großeltern) unterbleibt.

Der Fall, dass die Einrichtung infolge Streiks der Erzieher geschlossen werden muss, ist hier aber gerade nicht geregelt. Die Satzung regelt auch nicht, wann in solchen Fällen Beiträge zu erstatten sind. Das zeigt schon, dass die Stadt Gotha diesen Fall gar nicht regeln will.

Heißt dies jetzt, dass Beiträge nie zu erstatten sind? Meiner Meinung nach: „Nein“. Denn die Eltern schließen mit dem Kita-Träger nichts anderes als einen Dienst(leistungs)vertrag, der für die volle Dienstleistung eben eine feststehende Gebühr vorsieht. Wird die Dienstleistung aber nicht vollständig erbracht, ist nicht einzusehen, dass die Eltern diese dann trotzdem zu zahlen hätten. Regelt die Satzung diesen Fall nicht, dann gilt eben das BGB bzw. dessen Rechtsgedanken, die auch im öffentlichen Recht anwendbar sind. Und diesen läßt sich entnehmen, dass eine nicht vollständig erbrachte Dienstleistung auch nicht vollständig zu bezahlen ist.

Gern wird hier eingewandt, dass es sich bei Streik um höhere Gewalt handele, die der Arbeitgeber nicht zu vertreten habe. Halte sich, so etwa Prof. Max-Emanuel Geis von der Universität Erlangen-Nürnberg, der Streik im Rahmen, ziehe er sich also nur über eine Woche und nicht über einen ganzen Monat hin, können Eltern seiner Ansicht nach keine Erstattung ihrer Gebühren verlangen. Das Streikrecht sei durch das Grundgesetz geschützt. Das ist richtig. Jeder darf streiken, nur Beamte nicht. Erzieherinnen der kommunalen Kindergärten sind in der Regel Angestellte des öffentlichen Dienstes und dürfen deshalb streiken. Und die Allgemeinheit müsse die Folgen davon eben zum Teil mittragen. Hätten Eltern die Möglichkeit, sofort die Gebühren zurückzuverlangen, wäre das außerdem ein wohl unzulässiges Druckmittel auf die Arbeitgeber.

Dies ist allerdings eine sehr einseitige Sicht der Dinge: sie übersieht, dass die Kommunen zum einen als Partei in den tariflichen Auseinandersetzungen stehen, und nicht als ohnmächtiges Opfer. Sie heizen den Streik z.T. mit Pressemitteilungen noch an, die mit Unverständnis auf die Streiks reagieren, da die Einkommen der Erzieher(innen) schon so gut seien. Ferner spüren die kommunalen Träger momentan gar keinen Druck. Im Gegenteil: sie müssen den streikenden Erzieherinnen keinen Lohn zahlen, erhalten aber die volle Monatsgebühr. Damit verdienen sie am Streik. Und: Genau so wie die öffentlichen Arbeitgeber wird der Arbeitgeber der daheimgebliebenen Eltern den Lohn für die Fehlzeit einbehalten oder einen Urlaubstag abziehen. Schließlich entstammt der Streik eher der Sphäre des Arbeitgebers als derjenigen der Eltern, die hierfür nun wirklich nichts können. Warum sie die einzigen Geschädigten sein sollen, während der Träger am Streik verdient, ist schlicht nicht begründbar. Richtigerweise wird man aber vertragliche Schadensersatzansprüche der Eltern wegen der entstehenden Extrakosten am fehlenden Verschulden des Trägers scheitern lassen müssen.

Die Gebühren können m.E. hier aber anteilig verrechnet werden. Einige Kommunen tun auch genau das. Ein Schreiben kostet nichts. Wenn die Kommune sich weigert, müßte diese Sie in Anspruch nehmen. Ob sie diese Dreistigkeit haben, bleibt abzuwarten. In diesem Fall können Sie immer noch überlegen, ob Sie vor Gericht ziehen wollen.

Nachfolgend ein von mir entworfenes Musterschreiben an den Kita-Träger, das Sie gerne verwenden und weiterreichen dürfen:

 

„Sehr geehrte Damen und Herren,

vom… bis… war die Kindertagesstätte meines Kindes …. vom Streik der Erzieher(innen) im öffentlichen Dienst betroffen. Die Kindertagesstätte hatte geschlossen. Eine Notgruppe haben Sie nicht angeboten. Daher haben Sie Ihre vertraglich vereinbarte Leistung für diese Zeit nicht erbracht, ohne dass die Kitagebührensatzung der Stadt Gotha hier die Möglichkeit einer Sonder-Schließzeit vorsehen würde.

Für die kurzfristig zu organisierende Ersatzbetreuung sind mir Kosten i. H. v. …€ entstanden. Ferner hatte ich an diesem Tag unbezahlten Urlaub zu nehmen und daher eine Lohneinbuße i.H.v. … Die Geltendmachung dieser Beträge behalte ich mir vor.

Ich teile Ihnen mit, dass ich die Beitragszahlung für den Monat … um € … reduzieren werde. Dies setzt sich zusammen aus dem errechneten Tagessatz und dem Anteil der ungenutzten Essenspauschale von €… .

Ich bitte außerdem um eine Neubescheidung der Gebühren für den maßgeblichen Zeitraum für meine Unterlagen, damit ich dem Finanzamt gegenüber die tatsächlich angefallenen Kosten steuerlich geltend machen kann.

Hierfür erlaube ich mir, eine Frist von 3 Wochen zu notieren.

Mit freundlichen Grüßen “

 

Das Musterschreiben  können Sie hier gleich ausdrucken.

 

 

 

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Verkehrsrecht: Eigenreparatur trotz Totalschaden zulässig?

Mittwoch, 22. April 2015 12:20

Ein erfreuliches Urteil erreichte uns heute aus Duisburg: das dortige Landgericht (Urt. v. 30.1.2015 – 2 O 142/14) hat Folgendes zu Gunsten des Unfallgeschädigten entschieden:

1. Ein Geschädigter darf sein Fahrzeug auch im Totalschadenfall reparieren und weiternutzen und trotzdem auf der Grundlage eines Schadensgutachtens abrechnen und
2. der Versicherer darf in diesem Fall grds. (nur) den Restwert zugrunde legen, den der Gutachter auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat.

Der Fall

Der Kläger hatte einen unverschuldeten Verkehrsunfall erlitten und einen Sachverständigen mit der Begutachtung des Schadens beauftragt. Dieser ermittelte einen Totalschaden. Der Restwert liege bei 1.500,00 €. Der Kläger rechnete lt. Gutachten beim gegnerischen Haftpflichtversicherer ab und begann mit der Reparatur seines Wagens in Eigenregie.

Zwei Wochen später legte der Versicherer schriftlich ein Restwertangebot über 6.160 Euro aus einer Internet-Restwertbörse vor. Der Kläger nahm dieses nicht an, er wollte seinen Wagen ja weiternutzen. Daraufhin kürzte der Versicherer den Schaden u.a. um 4.660,00 €.

Auf den Hinweis des Klägers, er habe sein Fahrzeug in Eigenregie repariert und nutze dieses weiter, verlangte der Versicherer Nachweise für die Durchführung einer sach- und fachgerechten Reparatur. Eine solche gibt es aber eher in einer Fachwerkstatt, nicht bei einem Hobbybastler. Dieser ließ sich die Kürzungen nicht gefallen und klagte.

Das Problem

Von wirtschaftlichem Totalschaden sprechen wir, wenn der Sachverständige in seinem Gutachten ermittelt hat, dass die Reparaturkosten voraussichtlich und geschätzt höher ausfallen werden als der voraussichtliche Geldbetrag, den der Geschädigte für den Kauf eines vergleichbaren Autos in die Hand nehmen müßte. Dann ist er verpflichtet, den Wagen zum im Gutachten ermittelten Restwert zu verkaufen, diesen vom sog. „Wiederbeschaffungswert“ abzuziehen (er hat das Geld ja erhalten) und darf u.a. den Restbetrag beim gegnerischen Haftpflichtversicherer geltend machen (sog. „Wiederbeschaffungsaufwand“) . Will er den Wagen weiternutzen, dürfen die Reparaturkosten auch 130% des Wiederbeschaffungsaufwands ausmachen. Was aber, wenn die Reparaturkosten noch viel höher ausfallen, der Geschädigte den Wagen aber trotzdem repariert? Und was, wenn der Versicherer sich dann endlich meldet, aber plötzlich einen Mitbieter um den Restschrott aus dem Hut zaubert, der mal locker mehr als das 4fache bietet?

Die Entscheidung

Das LG Duisburg folgt zunächst dem BGH und führt klar und deutlich aus, dass der Geschädigte sein Fahrzeug nach dem Unfall in Eigenleistung selbst dann reparieren und weiternutzen darf, wenn es wegen der hohen Kosten eigentlich nicht mehr reparaturwürdig ist. Auch dann kann er seinen Schaden auf Grundlage des Wiederbeschaffungsaufwandes abrechnen:

„Eine andere Regelung würde dem Grundsatz des Schadensersatzrechts zuwiderlaufen, dass der Geschädigte Herr des Restitutionsverfahrens bleiben soll und grundsätzlich selbst bestimmen darf, wie mit der beschädigten Sache zu verfahren ist. Denn anderenfalls könnte der Versicherer des Schädigers den Geschädigten mit einem entsprechend hohen Angebot zum Verkauf des Fahrzeugs zwingen, da der Geschädigte bei Weiternutzung und späterem Verkauf in eigener Regie jedenfalls Gefahr liefe, wegen eines wesentlich niedrigeren Verkaufspreises für den Kauf des Ersatzfahrzeugs eigene Mittel aufwenden zu müssen (BGH Urt. v. 06.03.2007, VI ZR 120/06, Rn. 10- zitiert nach juris).“

Bei der Abrechnung darf der Geschädigte sich auf den vom Sachverständigen ermittelten Restwert in Höhe von mit 1.500 Euro verlassen. Er selber ist Laie und weiß nicht, wo er den Restschrott feilbieten könnte. Wochenlang zu warten, bis der Versicherer mit einem Angebot kommt, muss er nicht, schon gar nicht, wenn sein Restauto beim Abschlepper steht, der schon mit Standgebühren droht und er selber den Restwert dringend braucht, um ein neues Auto zu finanzieren. Laut LG Duisburg ist dies aber auch so, wenn der Geschädigte seinen Wagen repariert, noch ehe das Angebot des Versicherers eintrudelt:

„Grundsätzlich darf der Geschädigte nach § 249 Abs. 2 BGB seinen erlittenen wirtschaftlichen Totalschaden fiktiv auf Basis des vom Sachverständigen ermittelten Wiederbeschaffungswertes abrechnen. Er muss sich gegenüber dem Schädiger jedoch den Restwert des verunfallten Fahrzeuges anrechnen lassen (vgl Beck’scher Onlinekommentar zum BGB. Bearb. Schubert, Stand: 01.03.2014, § 249 Rn. 211). Dabei ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass der Geschädigte dann nicht gegen seine Schadensminderungsobliegenheit gem. § 254 Abs. 2 BGB verstößt, wenn er sein Fahrzeug zu dem in einem von ihm eingeholten Schadensgutachten für den regionalen Markt ermittelten Restwert verkauft. Er ist zur Schadensminderung grundsätzlich nicht verpflichtet, einen Sondermarkt für Restwertankäufer im Internet in Anspruch zu nehmen und kann vom Schädiger auch nicht auf einen höheren Restwerterlös verwiesen werden, der auf einem solchen Sondermarkt durch spezialisierte Restwertaufkäufer erzielt werden könnte (BGH Urt. v. 10.07.2007, VI ZR 217/06, Rn 9 m.w.N.- zitiert nach juris). Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr deshalb, weil der Kläger unbestritten sein Fahrzeug repariert hat, bevor ihm die entsprechenden Restwertangebote der Beklagten zugegangen sind.“

Konsequenzen für die Praxis

Wir empfehlen ohnehin: nach Verkehrsunfall SOFORT zum Anwalt!

Bei der Schadensregulierung in eigener Sache drohen empfindliche Verluste dadurch, dass man sich auf den gegnerischen Versicherer verläßt.  Aber wie der Name schon sagt: das ist der Gegner! Der will sparen, wo es nur geht.

Darüber hinaus stellt das LG Duisburg hier einmal mehr den besonderen Vertrauensschutz heraus, den der Unfallgeschädigte hat. Verkauft er den Wagen noch bevor er Kenntnis des höheren Restwertangebotes des Versicherers erhält oder beginnt er schon zuvor mit der Reparatur in Eigenregie, braucht er sich auf das Angebot nicht einzulassen. Die Praxis zeigt, dass immer noch viele Versicherer dem Geschädigten auch Wochen nach dem Unfall fast unrealistisch hohe Restwertangebote vorhalten. Wer hier nicht spätestens zum Anwalt geht, verliert viel Geld.

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IT-Recht: Darf WhatsApp meine Bilder für Werbung nutzen?

Sonntag, 12. April 2015 23:46

Immer wieder werde ich gefragt, ob es stimmt, was regelmäßig durch Facebook geistert:

„WhatsApp kann all Eure geteilten Inhalte, Texte und Bilder, an Dritte weitergeben und sogar zu Werbezwecken verkaufen. Ihr findet vielleicht ein Foto Eures Kindes auf Werbeplakaten und könnt nichts dagegen tun. Oder Euch droht eine teure Abmahnung, wenn Ihr Bilder weiterversendet, die dann woanders auftauchen.“

Stimmt das? Zunächst mal: die Meldung ist ein Jahr alt, ohne dass in der Zwischenzeit da ein Fall bekannt geworden wäre. Die AGB von Whatsapp stammen aus dem Jahr 2012. Ist das alles wirklich erst jetzt aufgefallen?

Und ja, es stimmt: Wer WhatsApp nutzen will, muss per Klick deren AGB zustimmen (https://www.whatsapp.com/legal). Keiner liest die, klar. Dort findet sich aber in Ziff 5 B. ii. die Regelung, dass WhatsApp alle Rechte an den Inhalten der Nutzer erhält, also an Texten und Bildern. Nach deutschem Recht wäre die Nutzung zu Werbezwecken grotten-rechtswidrig. WhatsApp gehört aber zu Facebook und gilt amerikanischem Recht, allenfalls irisches Recht, weil die für Europa zuständige Facebook Inc. in Irland ist. Wer einmal versucht hat, von FB seine Daten zu erhalten, weiß, was das heißt. Also grundsätzlich scheint diese Möglichkeit nicht soooo weit entfernt zu sein .

Was nun? Zu Threema wechseln? Gemach! Lesen wir die AGB an der fraglichen Stelle einmal genau! Meiner Meinung nach beansprucht WhatsApp die Nutzungsrechte (nur) am Profilfoto und der Statusmeldung, um diese überhaupt öffentlich anzeigen zu können. Diese Rechte erlöschen, sobald der Nutzer sein Profilbild oder den Status löscht. Die Rechte an an andere Personen gesendeten Texten oder Bildern sollen gerade nicht eingeschlossen sein: Whatsapp schreibt ausdrücklich, dass solche Medien ausschließlich der Empfänger sehen kann. Dies schließt m.E. schon wörtlich ausdrücklich aus, dass etwa an die beste Freundin gesendete Urlaubsfotos auf Werbeplakaten zu sehen sein können.

Und wenn dies doch passiert? Mit oder ohne AGB, die sich ja auch von jetzt auf gleich ändern lassen? Dann hat der Nutzer zugegeben das reichlich stumpfe Schwert, gerichtlich in Deutschland gegen WhatsApp vorzugehen. Vermutlich erhält er sogar nicht nur ein Urteil, sondern Recht. Aber das Urteil ist dann im Ausland nicht vollstreckbar, und alles bleibt beim Alten.

Meine Meinung: im Moment ist dies alles weit entfernt. Wer Facebook, WhatsApp & Co ohnehin mißtraut, sollte Abstand nehmen. Alle anderen sind sich der Risiken der „neuen sozialen Netzwerke“ trotzdem bewußt. Und nutzen sie verantwortungsvoll. Aber das ist wieder ein ganz anderes Thema 🙂

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IT-Recht: Wenn die Polizei Urheberrechte reklamiert

Montag, 16. März 2015 15:42

Eine Geschichte aus dem prallen (Facebook-)Leben:

Eine Facebook-Gruppe, die sich der nachbarschaftlichen Hilfe bei drohenden Einbrüchen widmet, hatte binnen kurzer Zeit über 1000 Mitglieder. Einige von ihnen nahmen den Gruppenzweck Ernst, fuhren im Stadtgebiet „Streife“ und beobachteten und meldeten „Auffälligkeiten“. Es kam zu einem Zwischenfall mit einem rumänischen Kleintransporter, der ein bekanntes buntes Blatt zu der Schlagzeile „Irrer Mob geht auf Rumänenjagd“ hinriss. Es stellte sich bald heraus, dass an diesem Vorwurf nichts dran war. Jenes Blatt hatte aus den geschmacklosen Verdächtigungen gegenüber einer sächsischen Kleinstadt Jahre zuvor nichts gelernt. Schnell wurde es ruhig in der und um die Gruppe.

Die Polizei Nordrhein-Westfalens hatte zwischenzeitlich eine Kampagne mit dem Titel „Riegel vor! Sicher ist sicherer.“ initiiert. Im Begleittext dieser Kampagne, die die Bürger zur Wachsamkeit anhalten will, heißt es u.a. „Wenn Polizei und Bürger zusammenarbeiten, kann Einbrechern der Riegel vorgeschoben werden.“ Eines der rund 1000 Mitglieder der Einbruchsgruppe bei Facebook nahm dies wörtlich und postete auf der Gruppenseite das Logo aus dieser Kampagne. Diese wiederum verstand sich als Teil des polizeilichen Netzwerks „Zuhause sicher“, auf dessen Webseite, genau einen Klick von „Riegel vor“ entfernt, es u.a. heißt: „Gerne stellen wir Ihnen Bilder und Logo des Netzwerkes „Zuhause sicher“ zur honorarfreien Nutzung zur Verfügung.“

Es kam, wie es kommen musste: der Administrator der Gruppe (der das Logo NICHT gepostet hatte), erhielt von der Polizei nunmehr ein Schreiben, dass gegen ihn (!) als Beschuldigten wegen der urheberrechtswidrigen Nutzung des Logos strafrechtlich ermittelt werde. Die ermittelnde Kriminaloberkommissarin schreibt: „Die Gruppe verwendete zurück liegend das geschützte Logo. Eine Einwilligung lag nicht vor. Dies ist strafbar nach § 106 UrhG.“

Der Admin erscheint konsterniert bei mir und legt mir das Schreiben vor. Er hat sich den Gruppenverlauf angesehen, ist auf das Foto gestoßen und hat es sofort gelöscht. „Was soll ich noch tun?“ fragte er mich leicht verzweifelt. Die Vorkommnisse um den „irren Mob“ sind an ihm gewiss nicht spurlos vorbeigegegangen. Für all diese hanebüchenen Entwicklungen kann er aber nun wirklich nichts.

Schauen wir uns die Rechtslage also einmal an:

§ 106 UrhG stellt u.a. das Verbreiten und die öffentliche Wiedergabe eines geschützten Werks ohne Einwilligung des Berechtigten unter Strafe. Es fällt auf, dass für die Polizeibeamten die Strafbarkeit bereits vor der Einvernahme des Beschuldigten festzustehen scheint, was erstaunt, denn dass der Admin das Logo nicht selber gepostet hat, scheint auch dort bekannt.

Wie kann er dann Täter sein?

Zivilrechtlich haftet er allenfalls als sog. „Störer“ auf Unterlassung, und das auch nur dann, wenn er von einem rechtswidrigen Post in seiner Gruppe erfährt und dennoch nicht tätig wird. Keineswegs muss er dort Tag und Nacht auf der Lauer liegen, ob irgendwer was Böses in die Gruppe postet. Erhält er aber einen Hinweis auf rechtsverletzende Inhalte, muss er diese prüfen. Dies ist geschehen.

Kann er dann strafrechtlich haften? Dazu müsste er a) selber und b) vorsätzlich gehandelt haben. Beides trifft offenkundig nicht zu.

Vorher ist noch zu fragen: wem gebührt hier das Urheberrecht am Logo? „Der“ Polizei ganz sicher nicht. Eher der beteiligten Werbeagentur oder deren Mitarbeiter. Nach § 109 UrhG wird die Tat nur auf Antrag verfolgt. Diesen kann „der Verletzte“ stellen, § 77 Abs. 1 StGB. Hat er dies nicht, darf es nicht zu einem Strafverfahren kommen. Und: becirct die Polizei im Rahmen der Kampagne „den Bürger“ so engagiert um Mitarbeit, dass er dann sogar das Netzwerklogo kostenfrei nutzen darf, kann selbst für den Fall, dass eine staatliche Behörde hier zulässigerweise Befugnisse des Urhebers wahrnimmt, dies bei einem engagierten Mitbürger, der dies wörtlich nimmt, kaum rechtswidrig sein.

Was soll ich dem Mandanten nun raten? Ich habe nicht übel Lust ihm zu raten, nichts zu tun. Kommt es dann zu einem Strafverfahren am Amtsgericht, werde ich dem überaus eitlen, aber komplett urheberrechtsunkundigen Publikum zu Gericht ein paar Takte zu sagen haben, die es so bald nicht vergessen würde. Aber ich habe dem Mandanten den „sichersten Weg“ anzuraten. Der besteht hier wie immer in Strafsachen darin, zunächst die Verfahrensakte anzufordern. In der dann fälligen schriftlichen Stellungnahme werde ich mich um Sachlichkeit bemühen, um die Sache ganz schnell im Sinne des Mandanten zu beenden.

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